Triggerwarnung: Dieser Text beinhaltet Symptomatik und Auswirkungen von Essstörungen und Insulin-Purging. Solltest du aktuell an einer Essstörung erkrankt sein, könnte der nachfolgende Text triggernd wirken.
Im ersten Teil meines persönlichen Updates ging es hauptsächlich um all die Dinge, die letzten Monat bei mir anstanden und das waren eine Menge. Im zweiten Teil erzähle ich euch, was mein Diabetes während dieser stressigen Phase gemacht hat, wie der Alltag mich einholte, überrollte und am Ende die Augen öffnete. Ich war wieder in meiner eigenen Diabetesspirale nach unten, oder eher nach oben?
Was vorher geschah:
„Stress macht mir nach einiger Zeit emotional zu schaffen, aber für einen gewissen Zeitraum blühe ich unter Stress total auf. Irgendwie brauche ich das ab und zu. Zugegeben, im April war es dieses Mal etwas viel…“
Fortsetzung
Zumindest zu viel für meinen Diabetes und mich. Bis zu dem Zeitpunkt als mir der Transmitter unbemerkt vom Bein in die Toilette fiel, lief es echt gut mit meinen Werten. Ich meine: Morgens und abends kalibrieren, korrigieren bei einer Warnung, Essen berechnen, dass alles passierte so nebenbei und es war gut. Mein HbA1c lag bei 7,0% was für mich ein absoluter Meilenstein war und ist.
Mehr als ein Jahr hatte ich nun durchgehend das CGM getragen, das meinen Alltag so sehr erleichterte und davor schon drei Jahre das Freestyle Libre. Jetzt sollte ich den Blutzucker messen – jedes Mal, wenn irgendetwas war? Wann sollte ich das denn noch schaffen? Plötzlich erschien mir das so unheimlich schwierig. Dabei hatte ich 15 Jahre auch ohne rumbekommen. Es kam, wie es kommen musste:
Am ersten Tag war ich noch relativ vorsichtig, so ohne Sensor. Ich testete regelmäßig meinen Blutzucker. Schon am zweiten Tag wurde es weniger und immer weniger bis ich tatsächlich in mein altes Verhaltensmuster verfiel. In das Muster, was mich damals in die Diabulimie trieb. Alles was ich wollte war meinen Alltag meistern und all das schaffen, was ich schaffen musste. Deswegen wollte ich z.B. keine Unterzuckerungen riskieren. Unplanmäßige Pausen gingen gar nicht, wollte ich mir auch einfach nicht leisten. Ich wollte einfach auf der „sicheren Seite“ sein. Also sorgte ich dafür, dass mein Blutzucker immer bei 180-200 mg/dl lag. „Nur für diese Zeit, nur solange ich noch so viel zu tun habe und ich keinen neuen Transmitter habe“ dachte ich mir. Nur geriet genau das außer Kontrolle – wie immer bei mir. Irgendwann wurden aus 180 -200 einfach mal 300. Fragt mich nicht wieso, aber es war mir vollkommen egal. Ich machte einfach weiter, hatte keine Zeit, keinen Kopf, um mir darum jetzt Gedanken zu machen.
Ich fing an zu weinen. Die Vorurteile waren gerechtfertigt
Es kam wie es kommen musste. Eines Abends sagte mein Freund zu mir: „Zeig mir mal die Werte der letzten Tage.“ Ich musste schlucken, ich wusste genau, was er gleich für Werte sehen würde und ich wusste, was das für einen Eindruck hinterlassen würde. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Ich wusste, was er denken wird und ich selbst trug daran die Schuld. Ich hatte damals sein Vertrauen missbraucht, nicht nur einmal. Und ja, er sah meine Werte und sah mich danach enttäuscht an. Ich fing direkt an zu weinen und versuchte zu erklären, dass das kein Insulinpurging war, aber ich war nicht sonderlich überzeugend, denn ich glaubte mir selbst nicht.
Klar, ich hatte angefangen meine Werte höher zu halten „um sicher, d.h. ohne Unterzuckerungen, durch meinen vollen Alltag zu kommen“, aber waren dafür Werte von 300 – 400 mg/dl nötig? Nein! Und das wussten wir beide. Am Ende hatte ich keine richtige Erklärung für diese Werte und das tat mir selbst einfach nur weh. War es mir aus den Händen geglitten? So einfach, dass ich es selbst nicht mal bewusst mitbekommen habe? Ich sah die Werte, das Gesicht meines Freundes und wusste einfach nicht mehr, wie es genau dazu kommen konnte.
Ich räumte ein:
„Ich habe damit angefangen, um nicht ständig zu unterzuckern, ich wollte mich nur sicher fühlen. Und irgendwann schätze ich, habe ich gedacht, wenn die Werte schon so hoch sind… dann lass ich sie eben da, wo sie sind… vielleicht hat das noch den ein oder anderen Nebeneffekt. Ich habe nicht aktiv darüber nachgedacht das Insulin wegzulassen, um abzunehmen, aber ich dachte wohl, dass wenn es sowieso schon so ist, dann lasse ich es einfach so für den Moment.“
Es hagelte eine Standpauke und ich wurde wütend:
„Du tust so als wäre das so einfach. All das was du sagst, das verstehe ich. Ich kenne die Konsequenzen, ich weiß was ich mir und allen antue. Ich habe es doch selbst am meisten gespürt. Aber all das Wissen hilft mir nichts. Du weißt doch, dass gerade diese Kommentare mich am meisten verletzen. Du weißt, dass ich selbst am meisten diese Gedanken vertreiben will. Ich will es wirklich und doch geht es nicht so einfach. Ich mache doch schon eine Therapie, was soll ich denn noch tun?“
Es war vielmehr ein Monolog mit mir selbst und ich weinte immer mehr, nicht weil mein Freund in dem Moment vielleicht etwas hart zu mir war, sondern weil ich merkte, wie wenig ich mir selbst trauen konnte.
„Ich will einfach nur feiern!“
Ich versprach, dass ich mir für die restliche Zeit ohne CGM einen Libre-Sensor von meiner Mama leihen würde, wir redeten noch lange und vertrugen uns wieder.
Und weil die Diabetes-Community einfach die beste ist, schrieb mir Marcel von IShinne-Diabetes, dass er mir einen Transmitter leihen könnte. Wahnsinn! Gesagt getan, ein paar Tage später hatte ich zu Hause bei meinen Eltern den Transmitter in der Hand. Gleich am nächsten Morgen setzte ich mir einen neuen Sensor. Aber irgendwie sollte ich einfach keinen Sensor tragen. Der Sensor blutete so stark, dass das Pflaster einfach abfiel. Ich setzte einen weiteren Sensor, auch hier klebte das Pflaster gar nicht und nach 30 Minuten fiel der Sensor zu Boden. Was sollte das? Ich hatte nur noch einen Sensor übrig (Ich hatte mir für eine Woche Urlaub drei Sensoren eingepackt) und den wollte ich an diesem Tag nicht verpulvern. Also noch ein Tag länger ohne CGM. Am Tag der Geburtstagsfeier setze ich mir dann einen Libre-Sensor von meiner Mama. Ich wollte die Pumpe sowieso irgendwo unter meinen Klamotten verstecken und ich hasse es, die Pumpe zum „Werte-Gucken“ immer heraussuchen zu müssen. Da schien mir so ein Libre- Sensor für den Abend praktischer. 20 Minuten bevor die ersten Gäste eintrafen, ich war gerade dabei das Bier in die Kühlteheke zu tragen, blieb ich doch ernsthaft mit dem Sensor im Türrahmen hängen. Er war ab. Ich fluchte und war unfassbar sauer: „Mir kommt hier vor morgen früh kein Sensor mehr an den Körper, scheiß drauf!“ Also machte ich auf der Feier weiter wie die Tage zuvor. Während meiner Pubertät hatte ich die größten Partys gefeiert und habe mir dabei nie Gedanken um den Diabetes gemacht (hey, nicht nachmachen – das war unheimlich dumm und ich muss einen der größten Schutzengel gehabt haben). Aber warum sollte das nicht heute, nur für diesen Abend, wieder funktionieren? Startwert: 219mg/dl. Noch schnell ein paar Kohlenhydrate und ab da waren mir meine Werte egal, ich wollte einfach nur Spaß haben und feiern.
Keine Ahnung, wie meine Werte den Abend über waren, wahrscheinlich viel zu hoch, ich wollte es gar nicht mehr wissen. Aber ich hielt mein Versprechen und setzte gleich am nächsten Morgen einen neuen Enlite-Sensor. Seitdem versuche ich meine Werte wieder in den Griff zu bekommen. Ich dachte: „Sensor dran und alles wird wieder laufen wie vorher.“ Aber das stimmt nicht. Ich bin immer noch zu hoch und versuche wieder eine gerade Linie in all das zu bekommen.
Die Erkenntnis
Ich muss wirklich sagen, dass mir diese Sensorpause enorm gutgetan hat. Kein ständiges Vibrieren, Piepen und auf die Pumpe gucken. Einfach mal Leben. In letzter Zeit nervte mich das CGM mehr, als dass es mir half. Zumindest glaubte ich das bis all das passierte. Aber ich weiß jetzt auch, dass ich ein CGM brauche. Mehr als ich gedacht habe. Ich habe mir selbst wunderbar bewiesen, dass ich ohne Sensor in alte Muster verfalle. Das mir mein Blutzucker plötzlich vollkommen egal wird. Aus den Augen aus dem Sinn und ich hatte die meiste Zeit nicht mal ein schlechtes Gewissen. Nur für ein paar Minuten, aber ich bin nach wie vor ein Meister im Verdrängen. Mir wurde klar, dass sich im Prinzip noch rein gar nichts geändert hat. Hätte ich heute keinen Sensor, keine Pumpe und all die neuen Möglichkeiten, ich weiß nicht, wo ich heute wäre. Vielleicht genauso blind und mit einem HBA1c von 13%. Es war nicht nur ein Schock für meinen Freund, sondern auch für mich. Dass es am Ende so leicht war, wieder in dieses alte Muster zurückzukehren hat mich erschreckt. Das hätte ich niemals gedacht. Ich dachte ich hätte zumindest noch ein bisschen Respekt vor dem, was 2013 passiert war.
Jetzt liege ich erkältet auf dem Sofa, aber ich nehme mir diese Zeit. Ich habe den April und meine ganzen Termine geschafft. Jetzt heißt es auf dem Sofa liegen, sich auskurieren, die Werte wieder in den Griff bekommen und dann aufstehen und Krone – oder Pumpe richten. Ich weiß nun aber, dass mein Weg doch noch etwas steiniger ist, als ich bisher angenommen habe.
Lebe!
Was mich diese paar Wochen aber auch gelehrt haben: Ich brauchte einfach eine Diabetes-Pause. Die darf nicht so aussehen, dass ich mein CGM abreiße und meine Werte machen lasse, was sie wollen, aber es darf so aussehen, dass ich mich einfach mal um mich kümmere und nicht immer nur um den Diabetes. Ich möchte momentan einfach mehr leben, mich nicht so viel hinter meinem PC, meinem Handy, meiner Kamera und einem Haufen Arbeit verstecken. Ich möchte feiern gehen, Freunde treffen und andere Dinge, die mir Spaß machen. Und ich denke, wenn ich wieder die richtige Life/Diabetes-Balance gefunden habe, dann wird es mit den Werten auch gar nicht so schwer sein.
Diät Prä Diabetes meint
Diabetes tritt am häufigsten bei Erwachsenen mittleren Alters und älteren Erwachsenen auf, kann aber bei jungen Menschen auftreten, mentaler Stress erhöht oft den Blutzuckerspiegel.