„Wann berichtet Lisabetes Mal etwas positives und gibt den Menschen Kraft? immer und überall Exhibitioniert diese schreckliche Person sich mit ihrem Gejammer.“
Diesen Kommentar durfte ich Anfang des Jahres unter einem meiner Beiträge lesen. Schreckliche Person. Schreckliche. Person. Könnt ihr euch vorstellen so etwas über euch selbst zu lesen, im Internet, von einer Person, die ihr noch nie im Leben getroffen habt? Das tut verdammt weh. Das steckt man nicht so einfach weg. Auch wenn man selbst weiß, dass diese Person im Unrecht ist. Man glaubt, dass man jammert und den Leuten keine Kraft gibt. Obwohl ich fast tagtäglich Nachrichten bekomme, in denen mir für meine Offenheit gedankt wird. In denen geschrieben wird, was für eine wichtige Arbeit ich mache und so viele Nachrichten von Betroffenen, die mir einfach nur danken. Dafür, dass ich ihnen Mut und Kraft gebe. Trotz all der Komplimente brennt dieser Kommentar in mir. Er ist da und er wird auch nicht so einfach wieder verschwinden – auch wenn die Autorin ihren Kommentar gelöscht hat, ist er hier, in meinem Kopf und dort wird er noch einige Zeit bleiben.

Hallo ich bin Lisa und ich bin hochsensibel
Nein, das habe ich mir nicht gerade ausgedacht, das gibt es wirklich. Hochsensibilität ist aber keine Krankheit, sondern eine „biologische Eigenart“. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich darüber auf meinem Blog schreiben sollte. Die Hochsensibilität ist zwar für mich im Alltag hin und wieder Thema, aber ich wollte sie nie zu einem Thema außerhalb meiner eigenen inneren Welt machen. Vielleicht weil ich sie noch heute als Schwäche sehe. Vielleicht weil ich Angst habe, man würde mir unterstellen, ich würde mir das nur ausdenken oder ich würde sie als Ausrede für mein Handeln nutzen- oder eben wieder „jammern“. Warum ich heute darüber schreibe? Der zitierte Kommentar ist nun über ein halbes Jahr her und noch heute erwische ich mich dabei, wie ich mich in meinen Blogposts erkläre und rechtfertige. In meinen letzten vier Artikeln wurde ich nicht müde zu betonen, was für ein lebensfroher und lustiger Mensch ich bin. Nur wegen diesem einen Kommentar. Und das nervt mich. Ich bin von mir selbst genervt. Davon, dass ich noch immer dieses starke Bedürfnis habe der Autorin zu zeigen, wie ich wirklich bin. Mir sollte das egal sein. Diese Person kennt mich nicht. Diese Person hat Unrecht. Und wer solch verletzende Dinge im Internet schreibt, der hat meiner Meinung nach sowieso keine Aufmerksamkeit verdient. Ich schreibe heute über meine Hochsensibilität um abzuschließen. Aber ich hoffe auch, dass der ein oder andere, der schon mal verletzende Dinge im Internet geschrieben hat, das nächste Mal über seine Worte nachdenkt, bevor er sie abschickt.
Auch wenn der Kommentar sicherlich unheimlich verletzend für jeden von uns gewesen wäre, egal ob hochsensibel oder nicht, möchte ich heute einfach über die ca. 20% da draußen reden, die hochsensibel sind. Dieser Kommentar – und andere, haben mich dazu bewegt, mich mehr mit meiner Hochsensibilität zu beschäftigen. Ich habe dieses Jahr Bücher darüber gelesen. Bücher, wie ich diese Eigenschaft nicht länger als Schwäche sehe. Wie ich besser damit umgehen kann. Und ein Teil davon ist für mich, dass ich offen darüber spreche.
Was ist Hochsensibilität?
„[…], dass sie weniger Reize aushalten, sondern daran, dass sie mehr wahrnehmen. Hochsensibilität hat die sehr reale physiologische Ursache eines besonders empfindlichen Nervensystems, oder eben weniger Übertragungsverluste, weil sie über deutlich mehr der relevanten Neurotransmitter verfügen. Dadurch nehmen HSP mehr und feinere Einzelheiten auf. Auch verarbeiten sie alle Eindrücke ausführlicher und tiefer.“
zartbesaitet.net
Hochsensibilität ist keine Krankheit. Es ist eine Wesenseigenschaft und gehört zur Persönlichkeit dazu. Meine Nerven leiten Reize einfach schneller und intensiver weiter. Ich verarbeite Informationen und Gefühle also stärker und es kann schneller zu einer Reizüberflutung und Überforderung kommen. Es gibt verschiedene Formen der Hochsensibilität. Einmal die sensorische Hochsensibilität, bei der Menschen Gerüche, Lichter, Stoffe etc. stärker wahrnehmen und verknüpfen. Sie haben einfach eine ausgeprägtere Sinnesschärfe. Dann gibt es die kognitive Hochsensibilität, bei der Menschen ein starkes Gefühl für Logik, dem Konzept von Wahr und Falsch und auch komplexeren Gedankenkonstrukten haben. Diese Menschen sind oft auch hochbegabt. Als drittes gibt es die emotionale Hochsensibilität. Hier nehmen die Menschen „besonders die Feinheiten in zwischenmenschlichen Bereichen auf. Sie sind mitfühlend, hilfsbereit, empathisch, oft besonders genaue Zuhörer mit starker Intuition. Herausforderungen für sie sind: Sie fühlen sich oft überfordert von der Last all dessen, was sie wahrnehmen. Oft reagieren sie in Gesprächen auf die Untertöne stärker als auf die ausgesprochene Botschaft des Gesprächspartners.“
Es gibt keine genaue Abgrenzung der verschiedenen Arten, oft verschmelzen einige Eigenschaften von den verschiedenen Formen. Ich selbst bin emotional hochsensibel und im geringen Maß sensorisch hochsensibel.
Was bedeutet das für mich?

Ich nehme ziemlich genau die Gefühle meines Gegenüber wahr und lasse sie zu meinen Gefühlen werden. Ist jemand in meiner Nähe nervös oder fühlt sich unwohl, dann fühle ich das ebenso – genauso ist es aber auch mit Glück und Freude. All das kommt dann zu meinen eigenen Gefühlen dazu. Das ist manchmal anstrengend. Deswegen werden emotional hochsensible Menschen oft als introvertiert oder schüchtern beschrieben, denn sie ziehen sich öfters zurück um „wieder runterzukommen“. Das war auch immer bei mir der Fall. Dabei bin ich gar nicht so schüchtern. Ich brauche nur immer mal wieder Pausen und meine Ruhe, denn mit anderen Menschen zu kommunizieren ist oft anstrengend und überfordernd. Ich erlebe meine Emotionen einfach unglaublich dolle. Dann finde ich keine Worte dafür und weiß auch nicht damit umzugehen. Ich wirke tollpatschig und durcheinander. Zu der starken Empathie habe ich einen mächtig ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ich ertrage es nur schwer, wenn jemand ungerecht oder anders behandelt wird. Ich bin extrem harmoniebedürftig und habe Angst vor Konflikten. Früher dachte ich immer, ich bin einfach nur ein unfassbar großer Angsthase. Eine Schwäche also. Aber das ist gar nicht der Fall. Natürlich bringt mich meine Hochsensibilität manchmal in Situationen, die mich stressen und überfordern, aber sie hat auch positive Seiten. Ich bin enorm einfühlsam, versuche immer das Richtige zu tun, ich kann mich extrem gut in Andere hineinversetzen und bin stets hilfsbereit. Außerdem erlebe ich nicht nur negative Gefühle besonders stark, sondern natürlich auch die positiven Emotionen. So bin ich extrem leicht zu begeistern und dann kennt meine Begeisterung auch kein Ende. Wenn ich also etwas toll finde, dann richtig. Ich bin schnell von Orten, Momenten und auch Menschen positiv überwältigt. Das liebe ich zum Beispiel an dieser Eigenart.
Dazu kommt bei mir eine nur gering ausgeprägte sensorische Hochsensibilität. Manches Musikstück kann für mich die Welt bedeuten oder sie komplett zum Einstürzen bringen. Ich entwickele gerade bei Musik und Kunst enorm starke Gefühle. Zudem stresst mich grelles Licht und eine laute Umgebung. Auch das halte ich nicht lange aus. Jeder Buchstabe hat in meinem Kopf ein Geschlecht und eine Farbe, ebenso die Zahlen. B ist immer blau und männlich, während das A weiblich ist. Die sieben ist grün/gelb und männlich, die sechs dunkelgrün und weiblich. Die Drei ist rot und geschlechtslos. Das kann ich weder steuern noch ändern.
Was passiert im Körper?
Diese Überforderung ist keine Einbildung, sonders es passiert tatsächlich etwas im Körper. Es reicht ein schreiendes Kind, grelles Licht oder ein Kommentar, der mich emotional aufwühlt, damit mein Körper in eine Stresssituation kommt und unheimlich viel Adrenalin ausschüttet. Passiert wirklich viel an einem Tag, kann diese starke Adrenalinausschüttung sogar zu einer Cortisol-Ausschüttung führen. Das merke ich dann daran, dass ich abwechselnd schwitze und friere, meine Hände zittern und ich ein extrem rotes Gesicht bekomme. Das ist dann manchmal anstrengend und ich brauche etwas Ruhe. Dann ist aber auch alles wieder in Ordnung.
Hochsensibilität und Diabetes
Eigentlich hat Hochsensibilität nichts mit Diabetes zutun. Aber ich hatte nun 19 Jahre Zeit beides genauestens unter die Lupe zu nehmen und im Alltag ausgiebig zu testen. Meine Diabetologin sagte einmal zu mir ich wäre relativ schwer einzustellen, ich hätte viele Schwankungen und einen Teil kann sie sich selbst nicht erklären. Ich sehe jedoch, dass mein Diabetes stark auf meine Gefühle reagiert. Klar, Adrenalin ist ein Gegenspieler von Insulin. Und da mein Körper doch recht häufig in die Adrenalin-Ausschüttung kommt, kommt es auch öfters zu plötzlichen Schwankungen, denn diese Adrenalin-Boosts kann ich leider nicht immer einplanen. Sie kommen und gehen. Aber ich habe gelernt mich darauf einzustellen. Wenn ich es mal nicht verhindern kann, dann ist es eben so und es gibt eine ausreichende Korrektur. Mittlerweile kenne ich mich aber doch recht gut und kenne viele Situationen, in denen ich weiß „heute wird’s wieder emotional – oder stressig“. Da kann ich dann schon vorher meine Basalrate aufdrehen.
Ein Schlussstrich

Somit habe ich nun fast das letzte Geheimnis auf meinem Blog gelüftet. Ein paar Sachen behalte ich aber nach wie vor für mich. 😉 Anstoß war der Kommentar im Frühjahr, der mich veranlasst hat, besser mit meiner Hochsensibilität umgehen zu wollen. In den ganzen Büchern kam mir ein Satz entgegen, den ich gerne zitieren möchte. „Denken sie daran, dass sie sich ihre Hochsensibilität nicht ausgesucht haben. Genau so wenig wie ihr Gegenüber sich ausgesucht hat nicht Hochsensibel zu sein.“ Auch ich muss lernen mehr Verständnis für andere zu haben. Nur weil ich auf jedes meiner Worte überaus bedacht bin, um auf keinen Fall einem Menschen zu nahe zu treten, geschweige denn ihn zu verletzen, heißt das nicht, dass andere das tun. Ich muss lernen meine Emotionen besser unter Kontrolle zu haben. Nur weil für mich jemand empathielos rüberkommt, muss das noch lange nicht so sein. Das weiß ich jetzt. Deswegen werde ich versuchen Kommentare nicht länger zu überinterpretieren und allgemein gelassener im Internet zu werden. Das ist mein Vorsatz für 2019! 🙂
Aber bleiben wir ehrlich, dieser Kommentar da oben war wirklich empathielos, oder?

Quellen:
Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen
Sind Sie hochsensibel?: Ein praktisches Handbuch für hochsensible Menschen. Das Arbeitsbuch
Liebe Lena,
vielen Dank für diesen Text. Du sprichst mir aus dem Herzen.
Ich bin jahrelang medikamentös „kaputt therapiert“ worden. Bis ich auf den Begriff HSP stieß. Was Ärzte mit Medikamenten und Traumatisierungen durch Exposition meinem Körper und meiner Seele angetan haben, ist komplex.
Hochsensible Menschen sind aufgrund ihres feinen Taktgefühls und ihrem Harmoniebedürfnis oft ein Geschenk für andere ….und werden gleichzeitig überdurchschnittlich häufig zum „Opfer“ anderer.
Dia+HSP ist nur etwas für Alltagshelden!
Fühl dich gedrückt!
Nina
Hallo liebe Lisa,
dein Text zur „Hochsensibilität“ hat mich sehr gepackt. Ich dachte bis jetzt teilweise immer ich wäre verrückt weil Menschen aus meiner Umgebung viele Feinheiten nicht wahrnehmen, die ich wahrnehme. Das hat mich schon häufig zum Verzweifeln gebracht. Verrückt dass es doch Menschen gibt wie dich, die ein ähnliches Gespür für unausgesprochene Emotionen haben, die sowohl belastend als auch total beflügelnd sein können.
Ich habe diese Eigenschaft immer als gut angesehen, nur habe ich mir immer sehnlichst gewünscht verstanden zu werden.
Jetzt fühle ich mich verstanden, danke dir für diese tollen Worte!
PS :
Immer positiv mit dem Diabetes umgehen, dann geht er auch positiv mit dir um 😀
Ganz liebe Grüße 🙂
Anja
Hallo Lisa,
ich kann mich mit deinem Bericht sehr identifizieren, da ich auch hochsensibel bin.
Mich überfordert es häufig, in größeren Gruppen zu sein, da dabei so viele verschiedene Eindrücke und Emotionen auf mich zukommen. Geht dir das auch so? Reagiert dein Blutzucker stark auf Stresssituationen und korrigierst du in diesen Fällen dann einfach?
Viele Grüße,
Lena
Hallo Lena,
ja, das geht mir ganz genau so. Diese ganzen Emotionen überfordern mich dann relativ schnell und ich ziehe mich zurück. Mein Blutzucker geht bei Stresssituationen dermaßen durch die Decke, dass es jenseits von gut und böse ist. Ich korrigiere dann zwar, sogar mehrfach, aber das Insulin wirkt in solchen Momenten sehr schlecht. Es ist, als würde ich Wasser spritzen. Es scheint erst wieder zu wirken, wenn die Stresssituation vorüber ist. Dann fällt auch mein Blutzucker langsam wieder.
Liebe Grüße
Lisa