Ich bin dagegen, denn ihr seid dafür.
Ich bin dagegen, ich bin nicht so wie ihr.
Ich bin dagegen, egal, worum es geht.
Ich bin dagegen, weil ihr nichts davon versteht.
Ich bin dagegen, ich sage es noch einmal:
Ich bin dagegen, warum ist doch egal.
Ich bin dagegen, auch wenn es euch nicht schmeckt.
Ich nenn es Freiheit, ihr nennt es Mangel an Respekt:
Bitte versteht mein Verhalten als Zeichen der Ablehnung,
mit der ich euch gegenüberstehe.
Das Lied „Rebell“ von „die Ärzten“ war früher mein Lieblingslied. Während meiner Pubertät hörte ich es rauf und runter, immer und überall. Vorzugsweise so laut aus meinem Zimmer, dass es drei Stockwerke tiefer im Keller gut zu hören war. Und ich lebte dieses Lied, auf ganzer Linie.
Vor einem Monat war ich in St. Wendel auf dem Diabetes Tag und ein Vortrag, von Dr. Khodaverdi aus Hanau über Diabetes und Pubertät, gefiel mir ganz besonders. Ich war total froh, dass ich dort saß und ihm zuhören konnte und noch viel besser fand ich, das links und rechts neben mir meine Eltern saßen. Ich spürte, das in mir etwas passierte und ich spürte, dass auch etwas mit meiner Mama passierte.
Kurz zuvor sprach bereits eine Mutter über die Pubertät ihres Sohnes: „Er hat es überlebt, ich habe es überlebt und wurde nicht in eine Psychiatrie eingewiesen. Auch wenn ich manchmal kurz davor stand“. Als sie fragte, ob Eltern von Typ 1 Diabetikern hier seien meldete sich meine Mutter.
„Wie haben sie denn die Pubertät ihres Kindes erlebt?“
„Furchtbar! Das war die schlimmste Zeit meines Lebens“.
Ich glaube, ich lief in dem Moment etwas rot an, musste aber zustimmend nicken. Das war nicht das erste Mal, dass meine Mama so über „früher“ sprach. Hin und wieder erinnert sie mich daran, wie schlimm es gewesen sein muss. Und ich finde das gut. Ich habe das damals natürlich kaum wahrgenommen, denn ich habe nur mich wahrgenommen und war viel zu sehr mit meinem Zeug beschäftigt. Rückblickend betrachtet kann ich total verstehen, warum meine Mama solche Sachen sagt. Sie ist auch total berechtigt dies zu sagen. Und wir beide wissen das.
Diabetes & Pubertät
Die Pubertät ist auch oft schon ohne eine chronische Krankheit fies genug. Teenager sind keine Kinder mehr und wollen deswegen auch nicht mehr wie Kinder behandelt werden. Sie wollen wie erwachsene behandelt werden, nur sind sie das oft noch nicht.
Dann kommt noch der Diabetes dazu. Man möchte alles selbst machen. Möchte nicht, dass einem reingeredet wird und will einfach seine Ruhe. Trotzdem machen sich Eltern immer Sorgen. Gerade, wenn das Kind Diabetes hat. „Wie sind deine Werte?“ „Hast du schon gemessen?“ „Hast du gespritzt?“ oder der beliebte Satz von meiner Mutter, wenn sie mir gar nicht mehr glaubte: „Hauch mich mal an!“ Damit war ich jedes Mal überführt, denn meine Mama ist ein regelrechter Azeton-Spürhund.
Dr. Khodaverdi beeindruckte mich mit seinem Vortrag sehr. Zum ersten Mal fühlte ich mich von einem Arzt verstanden. Hätte ich damals einen Arzt gehabt, der so mit mir und mit meinen Eltern geredet hätte, so glaube ich, wäre uns eine Menge Ärger und Leid erspart geblieben.
Er erzählte von den ganzen Dingen, die so in dem Kopf eines Teenagers umhergehen. Man möchte beliebt und cool sein, dann gibt es die Schule, Hobbys, die Clique, Klamotten, Handys, Internet. Das Kind befindet sich in einer Selbstfindungsphase, steht gerade irgendwie zwischen den Stühlen und sucht seinen Platz in der Welt. Da hat der Diabetes nicht mehr viel Raum.
Die Eltern vergessen das oft. Natürlich machen sie sich stets Sorgen um das Wohlergehen des Kindes, aber anstatt zu fragen: „Wie geht es dir? Was ist denn gerade so los bei dir?“ wird oft nur nach dem Diabetes gefragt. Nach den Werten und ob man an alles gedacht hat.
Das gibt den Jugendlichen das Gefühl, dass sie selbst gar nicht so wichtig sind. Zumindest nicht so wichtig wie der Diabetes. Denn der steht permanent im Fokus. Der Diabetes sollte aber stets nur ein Begleiter sein und nicht die Hauptrolle übernehmen.
So war das auch bei mir. Und je mehr ich mit dem Diabetes zu getextet wurde, desto mehr machte ich einfach zu, sobald das Gespräch wieder in diese Richtung ging. Ich wollte das gar nicht hören.
„Ich bin nicht faul, ich habe nur einfach keine Lust!“
Eltern, Ärzte… ihr habt doch alle keine Ahnung. Ihr könnt noch so viel studieren oder Bücher über den Diabetes lesen, ihr habt keine Ahnung, wie es ist damit zu leben. Wirklich zu leben. 24 Stunden am Tag, jeden Tag, den Rest des Lebens. Das war meine Ansicht und deswegen ließ ich mir von niemandem etwas sagen.
Klar merken meine Eltern das und versuchten mich andauernd mit anderen Diabetikern zusammen zu bringen. Aber gerade, weil dies wieder eine Idee von meinen Eltern war, damit ich den Diabetes wieder in mein Leben zurückließ, wollte ich auch das nicht. Noch mehr Menschen, die mit mir über Diabetes reden wollen? Nein danke, das brauchte ich echt nicht.
Ich habe die Pubertät überlebt, auch wenn der ganze Spuk erst im Alter von 23 im ketoazidotischen Koma endete. Aus der Pubertät kommt man wohl nie ganz raus, aber ich habe mittlerweile gelernt, dass mir die Menschen helfen wollen und das es auch tatsächlich Menschen gibt, die dazu in der Lage sind. Ich selbst muss es nur wollen, ich selbst muss anfangen darüber zu reden und niemand anders.
Auch meine Eltern haben die Pubertät überlebt, ohne das jemand in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde, obwohl meine Eltern ein mal kurz davor standen mich dahin zu schicken.
Fehler einsehen & darüber reden
Heute kann ich auf diese schwierige Zeit zurückblicken und mich selbst sogar etwas objektiv betrachten. Ja, ich steckte voll in der Pubertät, ich war oft richtig gemein und schlimm. Viele Dinge, die ich getan habe, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Nicht nur auf den Diabetes bezogen.
Ehrlich Leute, ich war kein cooler Teenager. Wahrscheinlich wäre ich nicht mal mit mir selbst befreundet gewesen 😉
Das sehe ich heute ein und kann ehrlich und offen über all das mit meinen Eltern reden. Natürlich haben auch meine Eltern Fehler gemacht, aber sie wussten es nicht besser. Und das wissen sie heute auch. Erst wenn man Fehler eingesteht, kann man daran arbeiten sie nicht zu wiederholen. Ich glaube genau deswegen läuft es heute so richtig gut zwischen uns.
Und auch wenn ich meiner Mama den Diabetes von Herzen gerne erspart hätte, könnte ich gleichzeitig auf die Knie fallen und dafür danken, dass sie mich heute komplett versteht. Und das obwohl sie nicht in der Pubertät steckt.
Heute wird sie von meinem Papa an das Messen und Spritzen erinnert und wenn wir telefonieren frage ich nach ihren Werten. Manchmal ertappen wir uns dabei, dass wir das gleiche Gespräch wie vor 13 Jahren führen, nur das wir die Rollen getauscht haben. Dann müssen wir lachen und sehen beide sofort, wo unsere Fehler liegen. Ihr glaubt gar nicht, wie erleichternd und toll das ist.
Aber das meine Mama Diabetes Lada bekommen hat- nun, so schön wie die vorherigen Sätze jetzt klingen mögen, ich wünschte sie hätte es nicht bekommen.
Wieder so eine Sache, die ich jetzt verstehen kann. Als sie bei meiner Diagnose vor 17 Jahren weinte, verstand ich ihre Reaktion nicht, heute kann ich das durchaus nachvollziehen.
Meine eigene Halloween Gruselstory
Letzten Montag war Halloween und für mich war der Tag tatsächlich gruselig. Es fing mit einem gruseligen Morgenwert von über 300 mg/dl an. Ich korrigierte und machte mich für die Uni fertig. Bevor ich los ging, schaltete ich die Pumpe aus, denn ich wusste, wie mein Körper momentan auf den Fußmarsch zur Uni reagiert. 10 Minuten später an der Uni lag mein Wert bei 117, mit einem Trendpfeil gerade nach unten. Das fand ich nun schon ziemlich uncool. In 1,5 Stunden von +300 auf 117. Na ja, aber das wird schon gut gehen, dachte ich mir und suchte einen wunderbaren Platz in der Mitte des Hörsaals. Während die Vorlesung begann waren meine Gedanken aber schon ganz woanders. 80 mg/dl, Pfeil gerade nach unten. Ich aß einen Müsliriegel und wartete. Der Vorlesung konnte ich nicht folgen. 60 mg/dl. Ich aß Traubenzucker, dann begann mein Herz zu rasen, meine Hände wurden schwitzig und der Raum um mich zog sich zusammen. 50 mg/dl. Ich aß die ganze Jubintube und musste kurz würgen (wie ich dieses Zeug hasse). Dann tippte ich mehr schlecht als recht eine Nachricht an meinen Freund (inklusive Foto von Pumpe und Messgerät), der mir sofort anbot, mich abzuholen. Ich schrieb zurück:“Ich weiß nicht, wie ich hier herauskommen soll. Ich sitze direkt in der Mitte vom Hörsaal“ „Steh einfach auf, wenn der Wert wieder etwas höher ist“. Mir schoß die Angst in die Knochen und die Tränen in die Augen. Leise und langsam packte ich meine Sachen, wartete einen Moment und atmete tief aus, bevor ich mich traute zu fragen, ob man mich raus lassen würde. Zum Glück saßen in meiner Reihe auf der einen Seite nur drei Leute. Schlimm genug für mich zu fragen und als mich einer von den Herren auch noch anraunzte war alles zu spät. Ich brach komplett in Tränen aus und stürmte aus dem Notausgang. Dort setzte ich mich auf die Feuerwehrtreppe und rief meinen Freund an, der mich dann mit dem Auto abholte.
Ich brauchte lange, um mich zu beruhigen. Ich hatte versagt. Zwar kannte ich solche Situationen, vom Bahnhof oder aus der Stadt, aber nicht aus der Uni. Ich dachte immer, hier würde das nicht passieren. Jetzt war es hier passiert. Und ich ließ den Diabetes gewinnen. Ich verließ die Uni, wegen einer Unterzuckerung und ich saß heulend im Treppenhaus. Ein Sieg für den Diabetes auf ganzer Linie. 1:0 für meine Krankheit. So sah ich mich in diesem Moment. Wie ein Versager. Ich dachte immer ich sei stark genug. An dem Tag fühlte ich mich einfach nur schwach. Als hätte ich der Angst nun eine neue, größere Tür aufgemacht, ihr den Weg freigemacht, um mich ein Stück weit zu beherrschen.
Als ich meiner Mama schrieb und sie mir mit eigentlich sehr banalen, kurzen Nachrichten antwortete, musste ich grinsen und fühlte mich sofort besser. „Morgen frühe gehe ich zur Uni und mache einfach weiter!“
Wie sehr es doch helfen kann, wenn man verstanden wird, wurde mir da noch mal richtig klar. Und auch, dass ich nicht alleine war und alles irgendwie nur halb so schlimm ist. Vielleicht hatte ich einfach einen blöden Tag. So ein Tag, an dem man leicht am Wasser gebaut ist. Das kann passieren. Aber einschränken lassen will ich mich nicht. Nicht vom Diabetes und auch nicht von der Angst! Basta!
Ich habe meine Pubertät überlebt und dies ist vielleicht einfach nur eine neue Probe für mich. Die ich auch gewinnen werde. Früher oder später!
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