Es ist Ostermontag, ich bin zu Hause bei meinen Eltern. An dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin und 22 Jahre meines Lebens gelebt habe. Es ist früh am Morgen, ich bin gerade aufgestanden und habe die Terrassentür geöffnet. Auf dem Rasen und auf den Blumen liegt noch Tau, es ist etwas nebelig, aber die Sonne kommt heraus und blendet mich. Die Luft ist kühl und frisch, aber die Sonnenstrahlen wärmen mein Gesicht. Mit einer Tasse Tee von meiner Mama in der Hand blicke ich in den Garten und beobachte die Vögel.
Ein Blick zurück
Meine Gedanken kreisen, unaufhaltsam von einem Thema zum nächsten. Es passiert ganz mechanisch und ich kann nichts dagegen tun.
Der Wald erinnert mich an meine glückliche Kindheit. Den ganzen Tag bin ich damals draußen im Wald und auf den Wiesen herumgelaufen, habe in den Teichen gebadet. Der Garten zeigt mir meine Jugend. Unzählige Partys und Grillabende. Wie oft habe ich oder jemand von meinen Freunden hier komatös im Garten gelegen? Ich versuche an meinen Diabetes zu der Zeit zu denken, aber da ist nichts. Irgendwie war er nicht existent, obwohl er längst da war. Damals hat er keine Rolle in meinem Leben gespielt. Dass das dumm war, weiß ich heute. Aber würde ich es anders machen, hätte ich die Chance noch mal 16 zu sein? Ich glaube nicht.
Ich denke an meine Freunde. Es sind Feiertage, die meisten sind gerade hier in der Heimat. Gesehen habe ich trotzdem nur meine beste Freundin. Das ganze macht mich etwas traurig, aber in zwei Wochen heiratete ein Freund und da werde ich die meisten wiedersehen.
Heiraten. Wann sind wir nur so alt geworden? Auch bei ihnen spielte der Diabetes nie eine Rolle. Es gab die ein oder andere Person, die den Diabetes wohl doof fand, weil ich auf Klassenfahrten eine „Extrawurst“ bekam, aber sollen sie doch. Ich finde den Diabetes mindestens genau so doof und muss auch noch mit ihm Leben.
Das Jetzt
Plötzlich stampft mein Papa durchs Bild. Er bringt den Biomüll auf den Kompost und kommt wenig später mit einer Kiepe voller Feuerholz zurück. Mein Hund nutzt die offene Tür und stolpert neben mich. Er fällt und bleibt neben mir sitzen. Es ist das letzte Ostern mit ihm. Es ist überhaupt das letzte Mal, dass ich ihn sehe und heute Nachmittag muss ich zurück nach Kassel. Auch in meiner Familie sind die Unterschiede groß. Von „ich will nicht, das jemand weiß, dass ich Diabetes habe“ zu „ich schreibe und erzähle öffentlich von meinem Leben“ Aber Menschen sind verschieden und das ist okay. Solange jeder das tut, womit er glücklich ist.
Es gibt viele Dinge, die mich in letzter Zeit beschäftigt haben, einige haben mit dem Diabetes zu tun, andere nicht.
Es ist eine Menge passiert, ich bin älter geworden. Älter und auch etwas weiser. Ich weiß, dass ich schnell die Lust an etwas verliere, wenn es mich nervt. Und der Diabetes, der kann sehr oft, sehr dolle nerven, oder? Dann brauche ich etwas, das mich zwingt, die Geduld nicht zu verlieren. Ohne meinen Blog hätte ich heute sicherlich keine Pumpe, ich würde immer noch keinen Kontakt zu anderen Menschen mit Diabetes haben. Es wäre mir alles egal.
Ich bin froh, dass es anders gekommen ist.
Es ist nicht so, dass ich meinen Diabetes heute permanent nach außen trage. Das ich jedem von meiner Krankheit erzähle und kein anderes Thema mehr habe. Auf meinem Blog ist das alles so, oder macht zumindest den Anschein. Ja, dafür ist mein Blog auch da. Und dafür kann ich in anderen Situationen den Diabetes einfach Diabetes sein lassen. Genug Aufmerksamkeit bekommt er dann hier.
Es geht mir gut damit, dass ich heute offen mit meinem Diabetes umgehen kann. Ich fühle mich sicher, wenn die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite wissen, dass ich Diabetes habe. Gerade seitdem ich wieder öfters umgekippt bin, gibt mir das ein geborgenes Gefühl. Ich finde es schön, dass ich mit meinem Freund zusammen BE’s schätzen kann und das ich immer und überall einfach Lisa sein kann. So wie ich bin, mit all meinen Macken. Mit meiner Brille, die geputzt werden muss und mit meinem Blutzuckermessgerät, dass ab und zu heruasgekramt werden muss. Ich habe keine Lust mich zu verstecken oder einen Teil meines Lebens zu verleugnen. Wer mich mit Diabetes nicht mag, der kann mich mal. Punkt.
Wenn sich allerdings keine Gelegenheit bietet den Diabetes zu erwähnen, dann ist auch das so. Ich platze sicherlich nicht unangemessen überall herein und schreie „seht her, ich habe Diabetes!“ Wenn es jemand mitbekommt, ist das okay, wenn nicht, ist es das auch. Aber mir ist wichtig, dass die Menschen, mit denen ich viel zutun habe, das schon wissen.
Du machst den Unterschied
Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen in unserem Umfeld so mit unserem Diabetes umgehen, wie wir es ihnen vorleben. Verheimliche ich meinen Diabetes und es kommt nach 3 Jahren heraus, fragen sich die Leute sicherlich: „Was ist denn so schlimm, dass sie nie etwas gesagt hat?“ Dann machen sich die Leute Gedanken und interpretieren vielleicht viel mehr hinein, als es eigentlich gedacht war. Selbst wenn ich den Diabetes nicht zeige, weil ich ihn für meine Privatangelegenheit halte, was okay, ist. Aber kommt es heraus, machen sich die Menschen eben Gedanken. Mehr als wir selbst.
Ich weiß, dass dieser Lebensstil nicht für jeden etwas ist und das ist absolut okay. Aber ich würde immer sagen: „Ein Versuch ist es Wert!“ Mit 16 wäre das alles auch der absolute Alptraum für mich gewesen. Und jetzt? Mir geht es gut damit. Und wenn ich genau darüber nachdenke, ist die Rolle meines Diabetes heute sogar weniger gewichtig, als damals mit 16. Als ich ihn auf Teufel komm raus ignorierte, nur um genauso feiern zu können wie andere.
Was bleibt
Ich ärgere mich ein bisschen, das meine Gedanken letztendlich wieder beim Diabetes gelandet sind. Der Tau ist verschwunden, der Tee alle und mein Hund liegt nun vor dem brennenden Kamin. Vielleicht dachte ich über den Diabetes nach, weil diese Gedanken momentan nicht so weh tun, wie andere. Der Gedanke meinen Hund heute für immer verlassen zu müssen oder wieder von zu Hause fortzufahren. Das, dass nächste Mal, wenn ich hier bin, alles ganz anders ist. Das neue Semester fängt nun an und ich habe wieder vor so vielen Dingen Angst, dass ich schwer abschalten kann. Da sind die Gedanken über meinen Diabetes die leichtesten, die ich momentan haben kann.
Anja Dütschke meint
Liebe Lisa!
Vielen Dank für den tollen Artikel…
Ich habe eine 16jährige Tochter,bei der vor vier Jahren Diabetes diagnostiziert wurde.Ich bin von Anfang an mit der Einstellung ran gegangen,dass “wir“ das packen und ich kein großes Thema daraus machen will,wie es leider bei chronischen Erkrankungen manchmal ist…Aber dieser Wunsch war vielleicht etwas optimistisch,da ich das nur mit meinen Augen gesehen habe…Für meine Tochter ist der Diabetes lästig,sie will ihn nicht und ignoriert ihn wo sie nur kann…es gibt oft Streit bei uns deswegen und er nimmt deshalb eine viel zu große Rolle in unserem Familienleben ein,was ich ja eigentlich gerade nicht wollte,aber ich habe doch die Verantwortung dafür solange sie noch braucht,um es für sich zu akzeptieren…
Ich werde ihr deine Seite hier empfehlen und hoffe,dass sie ihr helfen kann…
Herzliche Grüße Anja
Swantje meint
Liebe Lisa,
Ich bin dank des Artikel in der feelfree auf deinen Blog gestoßen und bleibe jetzt ein wenig zum Schmökern. Ich bewundere deine mutige und offene Art, mit der du die täglichen Herausforderungen angehst, die das Leben mit Typ 1 Diabetes mit sich bringt.
Liebe Grüße
Swantje (Mama eines 3 jährigen Typ1 Diabetikers)
Beate meint
Liebe Lisa, ein wunderbarer Artikel!
Ich schick dir viel gute Gedanken (die nicht alle beim Diabetes landen oder sich um ihn drehen).
Viele Grüße, Beate