Triggerwarnung: Dieser Text beinhaltet Symptomatik und Auswirkungen von Essstörungen und Insulin-Purging. Solltest du aktuell an einer Essstörung erkrankt sein, könnte der nachfolgende Text triggernd wirken.
Ist die dunkle Seite stärker?“ –
„Nein. Nein… nein. Schneller, leichter, verführerischer.“
Eigentlich hatte ich so tolle Ideen für Posts zum Jahreswechsel, allerdings ging es mir die letzten Wochen gar nicht gut und ich schrieb keinen der von mir geplanten Texte. Mein Kopf war zu voll und Galaxien weit entfernt von fröhlichen, motivierenden Vorsatz-Beiträgen. Diese Feierlaune habe ich mir selbst gründlich verhagelt.
Diese Worte zu schreiben fällt mir alles andere als leicht. Aber da dieser Blog genau dafür da ist und auch nur deswegen existiert, versuche ich die passenden Worte zu finden… mit Hilfe einer alten, weisen Kreatur.
Weihnachten ist immer eine schwere Zeit: Es gibt eine Menge zu essen, man liegt meist nur auf der faulen Haut und nicht selten findet man danach das ein oder andere Gramm, oder sogar Kilo, mehr auf der Waage.
Wenn ich nur schon daran denke, treibt es mir den kalten Schweiß auf die Stirn.
Bei uns gibt es immer so viel zu essen; Frühstück, Mittag, Kuchen, Abendbrot. Um das meiste drücke ich mich schon herum und wenn ich esse, dann achte ich penibel darauf, dass es nicht zu viel ist. Zwei Mahlzeiten höchstens und dann nur von allem ein bisschen.
Dieses Jahr habe ich sogar komplett auf Süßkram verzichtet.
Besonders schwer fiel mir das nicht und vermisst habe ich es auch nicht unbedingt. Das lag vielleicht auch daran, dass bei mir so überhaupt keine Weihnachtsstimmung aufkommen wollte und ich eigentlich auch keinerlei Süßkram geschenkt bekam.
Ja, ich gebe zu, dass ich unheimliche Angst davor habe über Weihnachten zuzunehmen. Obwohl ich nicht mal an Weihnachten maßlos zu schlage, fühlte ich mich mies. Ich verfiel in alte Muster und spritze kein Insulin. Mir ging es mies, ich redete mit niemanden und wurde leicht aggressiv.
„Darum, darum versagst du“
Hinzu kommt, dass ich jedes Jahr zu Weihnachten auf eine Party in meiner Heimatstadt gehe und da so ziemlich alle treffe, die ich so in meinem Leben kennengelernt habe. Und aus welchen Gründen auch immer, ich kann sie selbst gar nicht richtig erklären, ist es mir überaus wichtig an diesem Abend gut auszusehen.
Das ganze findet immer am ersten Weihnachtsfeiertag statt und für mich bedeutet das, die Wochen davor zu Fasten und Sport zu treiben. Heiligabend und am ersten Weihnachtstag habe ich also kaum etwas gegessen um „gut auszusehen“. Da schütteln schon viele den Kopf und ich reihe mich da gerne ein. Ich selbst habe immer wieder mal über mich selbst geflucht und mehr als einmal missbilligend in den Spiegel geschaut und den Kopf enttäuschend geschüttelt.
Das wirklich Schlimme ist, dass ich hier zu Hause sofort in alte Muster verfalle.
Ich habe penibel darauf geachtet, dass meine Werte nicht unter 200 fallen. Den einen Morgen wachte ich doch wirklich mit 111 auf, ein perfekter Wert, aber ich stellte die Pumpe gleich panisch für zwei Stunden aus.
Manchmal aß ich, weil ich zu niedrig war und noch höher kommen wollte. Ich aß und spritze nicht. Spritzen tat ich ein mal am Tag, kurz vor dem Schlafen gehen, weil es mir dann mittlerweile so mies ging, dass ich keinen Schlaf finden konnte.
Das Messgerät wies mich freundlich auf das „HOCH“ hin und ich rechnete, wieviel ich nun spritzen durfte um bloß nicht zu niedrig zu geraten. Gerade so, dass ich schlafen konnte. Aber bitte mit regelmäßigen Unterbrechungen um auf die Toilette zu gehen – es soll ja entschlacken.
Ich fühlte mich schlecht, abgesehen von der körperlichen Konstitution die jeden Tag zum Abend weniger wurde, auch mental. Ich war schlecht gelaunt, leicht reizbar und hasste mich selbst. Immer dann, wenn der Selbsthass zu groß wurde, kontrollierte ich meinen Bauch im Spiegel. „Sieht gut aus! Alles okay! Noch ein paar Tage, dann kannst du wieder spritzen“ und so machte ich weiter. Ich belog mich und ich belog sogar meine Eltern und meinen Freund. Das fiel mir wirklich schwer. Eigentlich hatte ich gedacht, ich sei dazu längst nicht mehr in der Lage. Nun merkte ich wie einfach das doch noch war. Zwar wurde mein innerer Zwiespalt immer größer, doch den schluckte ich einfach hinunter.
Am Abend der Party brach es aus mir heraus. Kaum hatte ich ein paar Gläser Wein getrunken schnappte ich mir meinen Freund und zog ihn beiseite. Ich schluckte und war den Tränen nah, aber ich musste es einfach loswerden. Und dann beichtete ich ihm alles. Ansehen konnte ich ihn dabei nicht. Ich hörte mich selbst reden und hoffte, dass es bald vorbei war.
„Ich schaffe das einfach nicht alleine“.
Mein Freund reagierte verständnisvoll, aber hart. Seitdem stehe ich nach gemeinsamer Absprache unter strenger Kontrolle.
„Furcht ist der Pfad zur dunklen Seite!“
Die Angst vor der Gewichtszunahme ist in solchen Momenten einfach so groß, dass ich mich von meiner dunklen Seite verführen lasse.
Und in solchen Momenten kann ich auch absolut gar nichts dagegen tun. Ich weiß genau was ich tue und ich weiß genau wie dumm das ist. Aber diese Angst besiegt einfach alles.
Sie kommt jedes Mal wenn ich denke, dass ich zu viel oder zu ungesund gegessen habe. Sie kommt, wenn ich spritzen muss. Sie kommt, wenn ich füllige Menschen sehe und genau so kommt sie, wenn ich Menschen sehe, die die Figur haben, die ich gerne hätte.
Sie kommt wenn ich Klamotten kaufe, ein paar Tage oder Wochen keinen Sport mache und sie kommt wenn ich mich im Spiegel sehe.
„Tue es oder tue es nicht. Es gibt kein Versuchen.“
„Viel zu lernen du noch hast“ Wie Yoda wohl zu mir sagen würde. Es gibt Zeiten, in denen denke ich, ich sei stark genug, ich habe alles begriffen und würde das alles endgültig hinter mir lassen können. Und zack, stehe ich genau dort, wo ich schon mal stand- nicht nur ein Mal. Und ich bin kein Stück klüger oder weiter. Ich fange von null an. Alles was ich geglaubt habe zu sein, ist eine Lüge. Und das tut weh. Fast noch mehr als die Momente, in denen ich meiner Familie sage „Ich hatte eben 120, alles gut.“
„Die Macht ist mein Verbündeter. Und ein mächtiger Verbündeter ist sie. Das Leben erschafft sie. Bringt sie zur Entfaltung. Ihre Energie umgibt uns, verbindet uns mit allem. Erleuchtete Wesen sind wir, nicht diese rohe Materie. Du musst sie fühlen die Macht, die dich umgibt. “
„Du willst das unmögliche!“
Ich werde weiter gegen diese dunkle Seite kämpfen, lernen ihr zu widerstehen und mich nicht verlocken zu lassen. Die Furcht darf nicht mehr siegen und ich muss endlich erkennen, dass ich so vollkommen okay bin
Ich muss das Leben so lieben lernen wie es ist, wie ich bin. Ich muss mich selbst akzeptieren und an meiner Selbstwahrnehmung arbeiten. Ich bin gut, so wie ich bin. Und selbst wenn – Aussehen ist nicht alles. Wer mich so nicht nimmt, der sollte mir den Buckel herunterrutschen können. Keinen Raum mehr lassen für die ganzen negativen Gedanken.
Meine Vorsätze sind dieses Jahr also ganz klar definiert:
Ich muss die Angst zuzunehmen besiegen, ich muss mich selbst akzeptieren und mein eigenes Aussehen nicht über meine Gesundheit stellen. Ich muss mein essen berechnen und spritzen, egal was kommt.
In nächster Zeit unterstehe ich einer engen Kontrolle, die ich selbst so wollte und noch im Januar habe ich einen Termin bei einer Therapeutin.
Erst Mitte Dezember hatte ich einen Termin bei meiner Diabetologin, die mir zwar sagte: „Wenn man es nicht schafft, dann muss man sich für den Moment eben Hilfe holen“. Aber auch betonte, dass sie mich für stark genug hält, dass alles hinter mir zu lassen. Auch wenn „man so etwas immer mit sich tragen wird und anfällig bleiben wird, war man ein mal dabei.“
Jetzt muss nur noch ich es glauben, es anpacken und nicht wieder auf mich selbst und die verführerische dunkle Seite hereinfallen.
Ich wünsche Euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr und das wir alle unsere Vorsätze umsetzen können.
Beate meint
Hallo Lisa,
komme jetzt erst dazu, deinen Artikel zu lesen. Sehr bewegend! Danke für den Einblick. Ich hab auch manchmal so Tendenzen, an mir und meinem Körper ewig rumzunörgeln wegen einer Gewichtsschwankung.
Wünsche dir viel Kraft und den Mut zur Selbstliebe – die finde ich nämlich gar nicht immer so einfach 😉
Viele Grüße, Beate
katrin b. meint
Hallo Lisa, wie kommt es eigentlich, dass du deinen Körper so wenig magst? Da muss doch irgendwas/ irgendwer passiert sein?! Ich hoffe, du nimmst Hilfe von deinem Freund an. Er scheint dich auch ohne sixpack zu mögen. LG Katrin
Lisa Inthesky meint
Hallo Katrin!
Das frage ich mich selbst auch oft und habe da schon so viel drüber nachgedacht. Es gibt wohl einige Momente, die mich zwar in dem Moment nicht, aber über den ganze Zeitraum mehr mitgenommen haben, als ich zu der Zeit selbst vermutet hätte. Meine Familie war immer sehr sportlich und alle achten sehr auf ihre Linie. Vor meiner Pubertät hatte ich damit kein Problem, da habe ich fröhlich mitgezogen und konnte mich mit ihnen messen. Als ich dann zunahm schwand mein Interesse für Sport immer mehr, wurde aber weiter dazu „überredet“, weil das für meine Familie dazugehört. Aus frust habe ich das aber irgendwann verweigert und wurde durch das ständige Gerede zum echten Sportmuffel. Da habe ich dann auch den ein oder anderen Spruch geerntet. Sowohl von der Familie, da ich dann die einzige war, die aus dem Raster fiel, als auch in der Schule. Diese Probleme mit dem Gewicht waren mir total neu, da ich als Kind immer schlank und sportlich war und eher weinte, wenn ich einfach nicht zunahm. Damals habe ich viele Komplimente bekommen und dann später hat sich niemand mehr dafür interessiert. Gerade in der Pubertät, wo das Aussehen ja immer mehr Bedeutung bekommt, wurde mein Körper immer molliger. Das wollte ich damals nie zugeben, hat mich aber doch sehr mitgenommen. Noch immer wünsche ich mir irgendwie noch ein mal so ein Kompliment zu bekommen, wie früher. Das einen solche Kleinigkeiten so fertig machen ist echt Wahnsinn.
Lena meint
Hallo Lisa,
sehr mutig von dir! Sei Stark!
PS: Schöne Bilder! Sehr gut gemacht!
Lisa Inthesky meint
Vielen Dank, liebe Lena 🙂
Martin Bewersdorff meint
»So stark bist du schon allein durch die Haut. Ohne die Kraft gibst du auf und ohne die Liebe gehst du aus. Ohne die Angst fliegst du raus und ohne den Mut gehst du drauf.« Nicht jeder Tag ist ein guter Tag, doch jeden Tag geschieht etwas Gutes – auch in Deinem Leben.
Ich wünsche Dir alles Gute für das neue Jahr.
Lea meint
Liebe Lisa,
Ich finde es gut, dass du dich uns gegenüber öffnest und von deinen Problemen schreibst!
Denn was würde es nützen, wenn wir idealisierte Blogs führen würden.
Damit belügt man nur sich selbst – Diabetes und all die Begeleiterscheinungen sind eben nicht immer einfach zu handhaben.
Ich weiß, wie es ist, gegen Angst anzukämpfen und Dinge zu tun, von denen man weiß, dass sie blöd sind.
Manchmal schafft man es eben nicht alleine raus aus dieser Schleife – nimm dir die Hilfe, die du brauchst.
Das macht dich nicht schwach, sondern stark.
Mein Motivationsspruch ist dieser:
Mut ist nicht, keine Angst zu haben, sondern sich ihr zu stellen.
Und das tust du!
Ich wünsche dir viel Erfolg und falls du das Gefühl hast, dass du reden möchtest und keiner das so richtig verstehen kann – ich bin für dich da 🙂
Liebe Grüße
Lea
Lisa Inthesky meint
Ohh Lea, vielen Dank! Das ist so lieb von Dir! Da werd ich sicherlich mal drauf zurückgreifen 🙂 Der Spruch ist auch super, werd ich mir merken! :*
Kity meint
Liebe Lisa,
Meine schlimme Zeit ist auch immer Weihnachten und Urlaub. Auf die waage geh ich garnicht mehr. Das hilft mir. Ich seh es einfach so, neues Jahr neues Glück. Ich bin 11 Monate im Jahr super diszipliniert und den 1 monat auszeit gönne ich mir. Zwar verfall ich zum Glück nicht mehr in die alten muster, aber das mein Hba1 immer im Januar ne 7 vorne hat und keine 6 liegt tatsächlich auch am nicht korrekt bolen. 🙁
Meine therapie ist jetzt 8 jahre her und ich kämpfe immer wieder und muss mich neu motivieren um nicht wieder zurück zufallen. du siehst, selbst mit 32 wird die dunkle seite nicht verschwunden sein. Das Kàmpfen lohnt sich aber.
Viele Grüße