Wie alt warst du bei deiner Diabetes-Diagnose?
Es war der 18. Oktober 1998 und ich war 11 Jahre alt.
In welchem Alter hattest du die Größten Probleme mit deinem Diabetes?
Vom ersten Tag an war der Diabetes für mich ein Riesenproblem. Es mag gute und schlechte Zeiten gegeben haben, aber im Großen und Ganzen habe ich mich bestraft gefühlt. Im Alter von 13/14 Jahren war es das größte Problem. Ich hab mich gegen alles, was diese Krankheit angeht, verweigert.
Was waren dabei die größten Probleme im Umgang mit dem Diabetes?
Über allem stand ganz groß Kontrolle. Das war auch ein Instrument meiner Eltern, die mich durch die Krankheit noch mehr kontrollieren konnten.
Ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch und so fremdbestimmt zu sein – nicht nur durch meine Eltern, sondern auch durch die Krankheit, vor allem wenn sie sich von Ihrer unberechenbaren Seite zeigt, hat mich gerade mit 13/14 Jahren wahnsinnig gemacht. Es war ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit.
Wie hat deine Essstörung angefangen und wie alt warst du damals?
Meine Essstörung hat vor meiner Diabetes- Erkrankung angefangen. Schon als Kind war ich übergewichtig. Sobald es mir schlecht ging, ich traurig war, die Emotionen über mich kamen, habe ich gegessen – oder um es deutlicher zu sagen: gefressen. Ich hab alles in mich rein gestopft, um dieses tiefe schwarze Loch in mir selbst irgendwie stopfen zu können.
Die Diabulimie hat dieses Verhalten sozusagen abgelöst. Am Anfang war es gar nicht meine Intention abzunehmen. Ich wollte rebellieren. Gegen alles, gegen jeden, vor allem gegen mich selbst. So bin ich in diesen beinahe tödlichen Strudel geraten.
Wie war der Verlauf deiner Essstörung?
Wie gesagt fing alles mit einer Rebellion gegen mein Leben und den Diabetes an. Deswegen habe ich nicht gespritzt. Ich wollte von alldem nichts wissen, vielleicht wollte ich mich auch selbst zerstören. Ich habe dann ziemlich schnell bemerkt, dass die Pfunde purzeln. Das fand ich natürlich gut. Ich war es gewohnt übergewichtig zu sein. Die einzige Ausnahme war damals zur Zeit meiner Diagnose. Ansonsten brachte ich zu meinen Bestzeiten stolze 120 Kg auf die Waage.
Aber natürlich ist mir auch aufgefallen wie schlecht es mir ging: Der Schwindel, die Übelkeit und dieses schwere Atmen. Also habe ich angefangen mein System sozusagen zu perfektionieren. Ich testete aus, wie viel Insulin nötig war, damit alles o. k. für mich war, dass es mir gut ging, dass ich noch atmen konnte, dass ich noch laufen konnte, aber trotzdem Gewicht verlor. Umso länger es gut ging, um so “mutiger” wurde ich. Es gab noch weniger Insulin für mich und meinen Körper und die ständige Übelkeit brachte den riesigen Vorteil mit sich nichts mehr essen zu können. Also verlor ich noch mehr Gewicht. Umso länger man sich in diesem Strudel befindet, umso mehr erarbeitet man sich seine Grenzen. Man erweitert sie jeden Tag, erhöht die eigene Grenze des Möglichen um einen weiteren Schritt.
Dann gibt es einschneidende Erlebnis, die einem bestätigen dass, das was man sich da gerade antut, genau der richtige Weg ist. Eine solche Erinnerung hat sich bis heute, mit all seinen Emotionen, in meine Seele gebrannt: Wir waren auf einer Familienfeier. Es waren alle da, alle die mich von klein auf kannten. Ich hatte ein Sommerkleid an, es war hauteng und kurz. Es stellte alles dar, was ich immer sein wollte, aber bis dahin nie gewesen war. Und jeder, wirklich jeder sagte mir an diesem Tag, wie toll ich ausschaue, wie schlank ich sei, wie gut mir dieses Kleid stehe und wie hübsch und umwerfend ich doch sei. Was für ein tolles Gefühl es für mich doch war so bewundert zu werden! So ging es tagein, tagaus. Ich hab ständig Bestätigung bekommen für das, was ich meinem Körper antat.
Natürlich war ich schlank, vielleicht sogar mehr als das. Es ging ziemlich lange gut. Ich würde sagen, dass ich fast anderthalb Jahre überhaupt kein oder so gut wie kein Insulin gespritzt habe. Aber dann kam der Punkt an dem mein Körper all das nicht mehr aushalten konnte. Zu diesem Zeitpunkt wog ich noch 42 Kg bei einer Körpergröße von 1,77 m, dies entspricht einem BMI von 13,4.
Was an dem Tag, an dem alles endete passierte, ging sehr schnell. Ich brach am morgen vor den Augen meiner Mutter zusammen und verlor auf dem Weg in die Klinik mein Bewusstsei. In der Klinik musste ich reanimiert werden, was zunächst ohne Erfolg von statten ging. Erst nach dem dritten Versuch, erhielten die Ärzte wieder einen Herzschlag und holten mich zurück ins Leben. Was darauf folgte, waren vier Monate auf der Intensivstation, Magensonden, eine Handvoll Psychiater, die sich an mir die Zähne ausgebissen haben und eine Gewichtszunahme von fast 50 Kg.
Wie/Woran hast du selbst gemerkt, dass du eine Essstörung hast?
Das hat unheimlich lange gedauert. Selbst nach der Tortur der Diabulimie konnte ich es noch nicht wirklich wahrhaben oder begreifen. Es hat mich jahrelange Therapie und sehr viel Eigenreflektion gekostet, um zu begreifen, dass ich an einer Essstörung leide, die sich auf verschieden Arten zeigt und mich auch mein Leben lang begleiten wird.
Wie lange hat es gedauert, bis du aktiv Hilfe annehmen konntest?
Hilfe bekam ich sehr schnell. Annehmen konnte ich sie erst nach dem Verlassen der Klinik. Im Uni-Klinikum in Tübingen hatte ich einen fantastischen Psychologen, der mich sehr unterstützte und mir das Gefühl gab, dass ich auch ich sein darf.
Wie ist dein Umfeld damit umgegangen?
Aus heutiger Sicht, würde ich sagen: grauenhaft. Es hagelte Vorwürfe und es führt zu noch mehr Kontrolle. Kurz darauf zerbrach die Familie auch. Mich hat aber nie jemand auch nur einmal gefragt, wie es mir geht und was man für mich tun kann.
Hättest du dir einen anderen Umgang von deinem Umfeld gewünscht?
Absolut! Ich hätte mir einen liebevollen und achtenden Umgang gewünscht. Eine Essstörung ist nichts für das man sich bewusst entscheidet. Zu wissen das ich nicht völlig alleine da stehe, sondern dass man mich trotz meiner “Fehler” liebt, hätte mich in meinem Genesungsprozess sicherlich gestützt.
Im zweiten Teil berichtet Jasmin von ihrer Therapie, dem Weg den sie gegangen ist und wie es ihr heute geht. Stay tuned!
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