Im ersten Teil des Interviews hat uns Jasmin ihre eigene Geschichte erzählt. Die Diabetes-Diagnose, der Verlauf ihrer Essstörung bis hin zur Akzeptanz und Therapie. Heute verrät sie uns nicht nur, wie diese Therapie aussah sondern auch, was sie sich für die Zukunft wünscht. Nur nicht für sich selbst, sondern für unsere Gesellschaft.
Wie sieht/ sah deine Therapie aus?
Die Therapien zogen sich über mehrere Jahre. Angefangen habe ich mit einer tiefenpsychologischen Therapie, um an den Ursprung dessen heran zu kommen, was da mit mir geschieht. Dazu kamen dann noch Körper-Therapie, Kunst-Therapie und zuletzt eine Verhaltenstherapie. Die Therapien lösten sich nicht gegenseitig ab, sondern wechselten sich eher aus. Und natürlich gab es Pausen dazwischen, die ich auch brauchte.
Würdest du sagen, dass du heute geheilt bist?
Ganz klar „Nein“! Ich denke auch nicht das dies Möglich ist. Ich vergleiche das immer gerne mit einem trockenen Alkoholiker, da eine Essstörung auch eine Suchterkrankung ist. Im Moment geht es mir gut, aber für morgen könnte ich keinerlei Zusage geben.
Gibt es immer noch Dinge, die dich triggern? Wenn ja, welche?
Oh ja! Eigentlich jede Frau. Ich vergleiche, ich spekuliere und setze mich selbst unter Druck. An guten Tagen kaum, an schlechten Tagen bis zum Heulkrampf. Ebenso triggert mich natürlich jede Gewichtszunahme, die ich feststelle. Ich empfinde mich dann schnell als stark übergewichtig und denke das jeder in meinem Umfeld das selbe denkt.
Die Bewertungen meiner Essens-Portionen fallen mir schwer. Mir fällt es so schon schwer in der Öffentlichkeit zu essen, bei Bemerkungen wie “Ist das alles?” oder “Das alles ist du alleine?” werde ich sehr nervös, weil ich mir die Einschätzung einer “normalen” Portion sozusagen “abtrainiert” habe.
Gibt es etwas, das du dir im Umgang mit Essen/ Essstörungen in der Gesellschaft wünschst?
Ich denke wir haben in Deutschland ein sehr großes Problem was die Empathie und Akzeptanz für psychisch Kranke angeht. Dazu zähle ich natürlich auch Menschen mit Essstörungen. Es wird schlichtweg bagatellisiert. Es heisst schnell über adipöse Menschen, sie sollten weniger Essen, oder anorektische Menschen eben mehr. Doch so leicht ist es nicht. Niemand würde zu einem blinden Menschen sagen, er solle doch mal genau hinschauen. Wir Menschen mit psychischen Problemen, tragen eben auch unserer blinden Flecken auf der Seele, die sich im Außen zeigen. Ich wünschte die Gesellschaft würde offener zu der gesamten Thematik stehen. Die Personen so akzeptieren, wie sie sind. Dann würde mit Sicherheit auch der Druck in den Sozialen Medien wegfallen. Es heißt immer das Social Media zu psychischen Problemen führt, dabei wird nur stets vergessen, dass Social Media die Gesellschaft macht. Es ist keine eigenständige Person, es ist der Spiegel unserer Gesellschaft. Menschen mit einer Essstörungen haben “ keinen an der Klatsche”, sie leiden und brauchen Hilfe!
Welche Rolle hat dein Diabetes bei deiner Essstörung gespielt? Glaubst du z.B. dass es unter anderem auch ein Faktor war, warum es überhaupt zu einer Essstörung kam?
Ich denke der Diabetes hat die ganze Essstörung begünstigt. Dadurch das wir vom ersten Tag der Diagnose lernen unsere Nahrungsmittel exakt unter die Lupe zu nehmen, kann sich daraus schnell etwas extremes entwickeln. Aber ich persönlich war durch meine eigene Familiengeschichte schon vor der Diagnose stark gefährdet.
Gibt es etwas was du dir von Diabetologen/ der Diabetesbehandlung in der Praxis wünscht?
Das selbe, wie von der Gesellschaft! Es kann nicht sein, das die Thematik Diabulimie so großflächig ignoriert oder abgestritten wird. Wenn von Praxen hier keine Offenheit entgegengebracht wird, geschweige denn die Betroffenen ernst genommen werden, wie sollen sich diese, dann sich selbst gegenüber fühlen? Die Anzeichen einer Diabulimie sind nicht zu verstecken, erst recht nicht für Fachpersonal.
Was möchtest du anderen noch mit auf den Weg geben? /Deine Botschaft?
Ich könnte jetzt erzählen das es egal ist, wieviel man wiegt, wie man aussiehst und was andere von dir halten. Denn auch wenn das wahr ist: Ich weiß, es gibt Tage an denen kommt das nicht an.
Die Zahl auf der Waage ist lauter als all das Gesagte um dich rum und der Pickel oben links auf deiner Stirn ist viel Größer als jedes Kompliment, das man geben könnte. Und auch die Zwei da drüben, die gerade kichern und zu dir blicken, machen sich nicht lustig über dich, aber in dir schreit alles “Was ist bloß falsch an mir?”.
Ich kenne solche Tage nur zu gut, gerne auch alle Möglichkeiten auf einmal und es ist einfach nur schrecklich.
Aber ich muss auch sagen, das du heute hier bist, das hast du nur einer Person zu verdanken!
DIR selbst!
Du hast all den Kummer, all die Schmerzen und Tränen überlebt. Das hast alles DU ganz alleine geschafft und Niemand kann dir das nehmen. Du hast überlebt.
Du bist eine Überlebende!
Du bist ein Überlebender!
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