Triggerwarnung: Dieser Text beinhaltet Symptomatik und Auswirkungen von Essstörungen und Insulin-Purging. Solltest du aktuell an einer Essstörung erkrankt sein, könnte der nachfolgende Text triggernd wirken.
Heute jährt sich zum zweiten Mal der Tag, an dem ich ins ketoazidotische Koma fiel.
Eine Zeit, die mich immer sehr nachdenklich stimmt. Eine Zeit in der ich oft zurückblicke und alles Revue passieren lasse.
Als ich vor ungefähr zwei Wochen aufgrund einer Krankheit in eine Keto rutschte, dachte ich ich müsse sterben. Wirklich, ich war furchtbar wehleidig und hatte echt Angst. Ein Glück, dass ich bei meinen Eltern war. So kümmerte sich meine Mama um ihre 26-jährige Tochter wie vor 16 Jahren.
Ich konnte in diesem Moment überhaupt nicht mehr nachvollziehen, dass ich solche Zustände noch vor zwei Jahren bewusst herbeigeführt habe.
Das andere Problem: Es gibt Momente in denen kann ich das sehr wohl.
Diese Gedanken begleiten mich. Nicht mehr permanent wie früher, aber es gibt Tage an denen sie erwachen und in meinem Kopf herumspuken.
Es gab Tage, an denen ich diesen Gedanken nicht die Stirn bieten konnte.
Meist nur einige Stunden lang, bis ich schuldbewusst zur Pumpe griff und das Insulin auf seinen Weg schickte.
Aber dann gab es Stunden, die zu Tagen wurden und schon war eine Woche herum.
Ich hasste mich – ich verabscheute mich. Nicht, dass ich mich in solchen Momenten einfach nur fett und hässlich fühlte, ich hasste mich für meine Schwäche, für all das was ich meinem Körper antat, obwohl ich geschworen hatte es nie wieder so weit kommen zu lassen – und ich hasste mich, weil ich alle um mich herum belog.
Natürlich merkte ich sehr schnell, dass es Berg ab ging. Das es mit meiner körperlichen Kondition wieder so ähnlich wurde wie früher. „Nur eine Woche, da passiert nichts!“
Das schlimme ist, ich glaubte diesen Gedanken. Ich falle immer wieder darauf hinein. Obwohl ich es eigentlich besser weiß: „Da kann sehr wohl etwas passieren!“
Der fatalste Fehler beim Insulinpurging ist meiner Meinung nach, dass man denkt, man habe alles unter Kontrolle. Der Pen oder die Pumpe liegen ja nur einen Handgriff entfernt und wenn es schlimmer wird, dann kann man sich ja schnell etwas spritzen. Nein, das stimmt nicht. Ich habe das auch immer gedacht und ja, viele Jahre ging es gut.
Aber am Ende konnte ich selbst gar nicht so schnell gucken und vor allem Handeln wie das Koma „Hallo“ sagte.
Klar, merkt man, dass man hohe Werte hat, aber der Körper gewöhnt sich daran. Es wird leichter damit zu leben und man nimmt es ja auch irgendwie in Kauf – in kauf für einen schöneren Körper. Naja.
Ich glaube nicht, das man den Punkt, an dem man die Kontrolle verliert bewusst mitbekommt. Das passiert einfach so. Man überschreitet eine unsichtbare Grenze und ab da ist es sowieso egal, was du tust.
Es fühlt sich an wie immer. Dir geht es nicht gerade blendend, aber das ist schon okay. Und – zack plötzlich wird dir speiübel. Von einem Moment auf den anderen. Danach merkst du, dass das Atmen noch ein Stück schwieriger wird als zuvor. Du fühlst dich dumpf, wie in Watte gepackt und alles wirkt irgendwie verzerrt. Der Durst hört auf und Hunger hast du sowieso schon lange keinen. Und bevor du das alles realisierst und einsiehst, dass du zum Pen greifen solltest, streckt dein Körper dich schon nieder, sodass du es vielleicht gar nicht mehr schafft. So war es zumindest bei mir.
Und selbst wenn du rechtzeitig reagierst – da bin ich ehrlich – weiß ich nicht, ob du mit ein bisschen (oder eher viel) Insulin das jetzt noch selbst gerade gebogen bekommst. Dein Körper wurde immerhin schon lange geschwächt.
Ich weiß wie tückisch und manipulativ diese Gedanken sein können. Aber ich bitte jeden, dem so etwas mal im Kopf herumgeistert, einen anderen Weg zu finden. Und zwar am besten bevor ihr mitten drin steckt.
Sprecht euren Diabetologen an, euren Arzt oder auch Familie und Freunde. Auch ich stelle mich gerne dazu bereit.
Denn ich glaube, mir hätten damals Erfahrungsberichte gut getan. Diese ganzen Fakten über eine Keto, die man auch im Internet nachlesen kann, die kennen wir alle. Aber sie schützen nicht.
Dieser Post ist für mich,
um mir selbst vor Augen zu führen, dass ich mit der ganzen Sache noch nicht durch bin, aber das ich es bis hier hin geschafft habe und das mich schwache Momente nur zurückwerfen und weder meinem Körper, meinem Aussehen noch meinem Charakter gut tun.
Aber vor allem ist dieser Post für euch.
Die vielleicht kennen worüber ich schreibe oder die mal mit dem Gedanken gespielt haben, ihr Insulin wegzulassen um abzunehmen.
Es ist hart aber wahr: Ihr habt es nicht unter Kontrolle. Und das muss jedem bewusst sein.
Nani meint
Vielen Dank für Deine offenen Worte! Das war sehr ergreifend zu lesen!