Ein bisschen weniger Diabetes und dafür etwas mehr Normalität im Alltag. Da würde wohl kein Mensch mit Diabetes „nein“ sagen und genau damit werben aktuell manche Pumpen- und Sensorhersteller. In den letzten Jahren hat sich wirklich einiges getan und das die Digitalisierung besonders im Bereich Diabetes von Vorteil sein kann erleben wir schon tagtäglich.
Auf das nächste große Ding warten die meisten aber trotzdem noch. Schon seit Jahren schwirrt der Begriff „Closed Loop“-System wie ein Gespenst durch den Raum. Mitte September 2019 erhielt die Minimed 670G von Medtronic die lang ersehnte Zulassung für den deutschen Insulinpumpen-Markt. Ein Ereignis, auf das viele gewartet haben und an das zuletzt schon gar nicht mehr richtig geglaubt wurde. Doch jetzt ist es da, das erste offizielle Hybrid Closed Loop System.
Auch ich durfte das neue System von Medtronic zur Probe tragen und möchte heute meine ersten Erfahrungen mit dem System teilen. Wichtig zu berücksichtigen ist jedoch, dass ich zuvor ein Do-it-Yourself Closed Loop System getragen habe. Dieser Fakt beeinflusst meinen Test maßgeblich und ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Fazit ohne diesen Umstand anders ausgefallen wäre.
Die Minimed 640G vs. 670G
Die 670G ist der Nachfolger der 640G. Optisch lassen sich diese beiden Pumpen kaum unterscheiden. Sie sind gleich groß, gleich schwer und auch das Display hat dieselbe Größe. Bei kurzem Betrachten könnte man sie nur an einem Knopf auseinanderhalten. Der Knopf, der vorher ins Menü des Systems führte, zeigt heute die rtCGM-Kurven. So gesehen könnte man auch direkt sagen, dass wir in der 670G zwei Insulinpumpen in einer haben. Nämlich einmal die 640G und die 670G. Denn ohne aktiven Automodus macht und kann die 670G genau das gleiche wie ihr Vorgänger.
Die Pumpe kommuniziert mit dem Guardian Sensor von Medtronic. Ein anderes rtCGM wie z.B. der Dexcom kann mit dieser Pumpe nicht gekoppelt werden. Ist der Automodus nicht aktiv, so greift wie bei der 640G der SmartGuard bei drohenden Hypoglykämien ein. Die Insulinabgabe wird also gestoppt, wenn eine Unterzuckerung droht. Im besten Fall stoppt die Pumpe früh genug, um die Hypo vollständig abzufangen, sodass man erst gar nicht zu niedrig kommt.
Der Automodus
Erst mit dem Starten des Automodus wird das System zu einem Hybrid Closed Loop. Hybrid, weil es eben noch kein vollständig geschlossener Loop ist, aber dazu später mehr.
Im Automodus arbeitet die 670G mit einem lernenden Algorithmus. Dieser prüft alle fünf Minuten den Gewebezuckerwert des Guardian und errechnet die neue Insulinabgabe.
Der SmartGuard, der für die Hypounterbrechung zuständig ist, ist nun deaktiviert. Klar, denn eigentlich sollte eine Hypo nun durch den Algorithmus angefangen werden. Sobald die Pumpe merkt, dass der Gewebezucker bedrohlich fällt, fährt sie die Insulinabgabe einfach zurück. Geht man aus dem Automodus raus oder die Pumpe schmeißt einen selbst aus dem Automodus, dann muss der SmartGuard erst wieder von Hand aktiviert werden.
Ziel ist es also so lange wie möglich im Automodus zu bleiben. Dafür muss auch der Mensch hinter der Maschine ein bisschen was tun, aber es wird mit der Zeit leichter und weniger.
Wir sprechen hier von einem Hybrid Closed Loop, da die Bolusabgabe für Essen und größere Korrekturen (noch) von uns selbst erfolgen muss. Die Pumpe errechnet nur die Basalversorgung. Dafür sollte man die 670G mindestens 48 Stunden, besser aber sogar sechs Tage tragen, bevor man den Automodus aktiviert. Die Pumpe bzw. der Algorithmus muss einen schließlich erst kennenlernen. So beobachtet die Pumpe zunächst und errechnet dadurch ihren Algorithmus. Der Zielwert ist bei der Minimeg670G vorgegeben und liegt bei 120 mg/dl. Temporär kann man diesen Zielwert auch auf 150 mg/dl erhöhen.
Außerdem kann der Automodus nur betrieben werden, wenn der tägliche Insulinbedarf zwischen 8 und 250 Insulineinheiten besteht.
Der Guardian Sensor
Der Guardian rtCGM-Sensor hat drei separate Sensoren, die im Zellwasser den Gewebezuckerwert lesen. Das System überprüft alle drei Werte alle fünf Minuten. Sollte es hier eine zu große Abweichung zwischen den einzelnen Sensoren geben, so muss der Sensor aus Sicherheitsgründen mit einer blutigen Messung kalibriert werden. Ansonsten steht alle 6 bis 12 Stunden eine Kalibierung ins Haus, empfohlen werden jedoch ausdrücklich drei bis vier Kalibrierungen pro Tag, damit der Sensor vernünftig läuft.
Auch hier ist es wie bei der 640G: Bei einem neuen Sensor werden zunächst zwei Kalibrierungen benötigt und ein Sensor hält sieben Tage.
Alles automatisch – werde ich noch gebraucht?
Damit das System gut funktioniert ist immer noch der Mensch hinter der Technik gefragt. Neben den Kalibrierungen des Sensors muss auch die Bolus- und Korrekturabgabe von uns Patienten erfolgen. Die sogenannten Mikroboli, die die Basalrate darstellen sind so gering, dass sie höhere Blutzuckerwerte nicht korrigieren können. Deswegen muss auch hier der Patient selbst eine Korrektur abgeben. Errechnet wird die Korrektur aber durch das System. Oft erscheint so die vorgeschlagene Korrekturmenge zu gering, aber man muss auch bedenken, dass der Automodus schon mit den Mikroboli gegen den hohen Wert gegensteuert und die Korrektur nur eine Unterstützung bietet.
Beim Essen werden wie zuvor die Kohlenhydrate mit der Hand eigegeneben. Die Pumpe schlägt einen dann den Bolus vor. Wobei „vorschlagen“ im Automodus nicht der richtige Begriff ist. Denn man kann den Bolus-Vorschlag nur annehmen oder ablehnen. Eine eigenständige Veränderung ist nicht möglich.
Sicherheit geht vor
Damit das System von der FDA genehmigt wurde, musste Medtronic viele Sicherheitsfeatures in ihr System integrieren. Deswegen ist der Zielwert starr auf 120 mg/dl gesetzt, man kann ihn also nicht individualisieren. Jedoch hat man die Möglichkeit den Zielwert temporär auf 150 mg/dl anzuheben. So erfolgt auch erst ab diesem Wert eine Korrektur. Wird der Automodus aus Sicherheitsgründen beendet landet man im sogenannten „Basal sicher“. Hier wird für max. 90 Minuten die Basalrate abgegeben, die die Pumpe für die letzten sechs Tage errechnet hat.
Warum der Automodus beendet wurde, kann mehrere Gründe haben. Es kann Probleme mit dem Sensor geben, eine Kalibrierung kann z.B. nicht akzeptiert werden, weil die Abweichung zu groß ist.
Oder die Pumpe war zu lange in der maximalen bzw. minimalen Basalabgabe. Was die maximale und minimale Abgabe betrifft: auch diese wird aus den letzten sechs Tagen ermittelt.
Fazit
Bitte bedenkt bei meinem Fazit, dass ich zuvor ein Do-it-Yourself Closed Loop System getragen habe. Mein direkter Vergleich erfolgt also zu so einem System. Ich denke, dass das eine Menge zu meiner Testphase und Meinungsbildung beigetragen hat.
Zugegeben war ich nicht gerade aus dem Häuschen als ich erfuhr, dass mein Zielwert bei 120 mg/dl liegt und nicht verändert werden kann. Auch das temporäre Ziel von 150 mg/dl machte es erstmal nicht besser.
Zum Verständnis: Bei meinem DIY-System habe ich einen Zielwert von 100 mg/dl und je nach Sportart einen weiteren höheren Zielwert. 160 mg/dl bei Krafttraining, 180 mg/dl bei langem Ausdauersport. Dann noch weitere Zielwerte für meine Periode, für lange Reisen und Krankheitstage. Ich fragte mich also relativ schnell, wie ich mit nur zwei Zielwerten zurechtkommen würde.
Aber fangen wir am Anfang an.
Zunächst trug ich die Pumpe ohne den Automodus, denn schließlich sollte die Pumpe erst einmal ein bisschen lernen. Das eine gute Vorbereitung das A und O ist habe ich bereits beim DIY-Loop gelernt. Und dann war es endlich soweit. Der Automodus wurde gestartet und es lief die ersten Stunden direkt perfekt. Ich war begeistert. Doch schon nach einigen Stunden wurde meine Begeisterung gedämpft. Es folgen immer wieder Warnmeldungen und Hinweise. Irgendwas lief der Pumpe und dem Sensor nicht genau genug und ich fand mich im ständigen Kalibrieren oder gar neuen Sensor setzen wieder. Erst Sensor Nummer vier saß dann auch seine vollen sieben Tage.
Die ersten zwei Wochen waren wirklich nicht lustig und ich war kurz davor die Pumpe anzulegen und zu meinem DIY-Loop zurückzukehren. Zwei Wochen, in denen mich die Pumpe Tag und vor allem Nacht wachhielt. In der ersten Nacht wurde ich alle zwei Stunden von der Pumpe geweckt. Schnell entstand der Eindruck, dass ich die Pumpe am Leben halte und nicht sie mich.
Doch es wurde besser. Ja, man braucht wirklich ein bisschen Geduld und ja, man muss viel Kalibrieren. Das kann nerven. Aber mit der Zeit hatte ich das Gefühl, dass das System immer schneller und besser lernt. Die Kalibierung wurden weniger, meine Werte wurden besser.
Ach ja, ganz vergessen: die ersten zwei Wochen waren nicht nur nervötend durch ständige Alarme und Hinweise, auch meine Werte waren erst einmal außer Rand und Band. Es war aber auch ein schwieriger Zeitpunkt. Der Zeitpunkt meines Eisprungs, in dem ich ungefähr 200% mehr Basal benötige. Deswegen lag es sicherlich auch daran.
Es wurde also besser und nach ca. einem Monat konnte ich dieselben Ergebnisse erzielen wie mit meinem DIY-Loop. Ich hatte eine TIR von 70-80%. Die Standartabweichung lag bei ca. 40%.
Allerdings war der Aufwand nach wie vor größer als mit dem DIY-Loop. Ich weiß, dass das absolute Luxusprobleme sind, immerhin kenne ich es auch noch mit blutigen Messungen, aufgezogenen Spritzen und striktem Ernährungsplan. Aber ich kann einfach nicht anders als ehrlich zu sein: die Kalibrierungen trieben mich an den Rand des Wahnsinns! Fakt ist einfach, das mir mein DIY-Loop mit dem Dexcom G6 gezeigt hat, dass es auch anders geht. Ein Jahr genoss ich diesen Luxus und so war es wirklich eine Herausforderung sich erstmal wieder an die vielen blutigen Messungen zu gewöhnen. Deswegen muss ich es leider sagen: für mich ist ein System mit so vielen Kalibrierungen schon fast nicht mehr zeitgemäß. Das wäre es vor zwei Jahren gewesen.
Mich störte außerdem der hohe Zielwert. 120 mg/dl waren mir nachts eigentlich etwas zu hoch, aber das ist schon okay. Allerdings schlug mir die Pumpe immer erst Korrekturen vor, wenn ich über 160 mg/dl lag. Loop hingegen steuerte bereits bei 130 auf die 100 mg/dl zu. Wer das gewöhnt ist, für den ist das erstmal ein Rückschritt.
Der wahre Knackpunkt ist für mich einfach der Guardian Sensor. Leider hält das Pflaster bei mir nicht und ich bekomme Ausschlag. Auch das Design gefällt mir einfach nicht. Ich bleibe andauernd hängen, während der Dexcom bombenfest an der selben Stelle sitzt. Luxusproblem, klar! Außerdem war der Guardian teilweise sehr genau, manchmal aber auch nicht. Das war ganz stark von dem Sensor und der Stelle abhängig. So starke Qualitätsunterschiede konnte ich beim Dexcom noch nicht feststellen. Und zu guter letzt die Sensor-Probleme: ständig wollte der Sensor kalibriert werden oder er aktualisierte stundenlang. Stunden, in denen ich ohne Werte dastand und am Ende sollte ich den Sensor immer frühzeitig wechseln.
Wäre die Pumpe mit anderen rtCGM-Systemen kompatibel, wäre ich sofort dabei, gar keine Frage!
Minimed670G vs. DIY-Loop
Um es deutlich zu sagen: Wer ein DIY-Loop System gewöhnt ist, für den ist die Minimed670G höchstwahrscheinlich nichts. Es gibt zu wenig Individualisierungsmöglichkeiten und Teile des Systems sind teilweise so wenig nachzuvollziehen, dass es schwierig für jemanden wird, der jeden Schritt des Systems bis ins letzte Detail verstehen und nachvollziehen möchte. Ein Aspekt ist z.B. das geraten wird die Insulinwirkdauer auf 2 Stunden zu setzen. Wieso, weshalb, warum kann ich bis heute nicht erklären, obwohl wir eine Antwort von Medtronic bekamen. Es bleibt trotzdem undurchsichtig. Ich als Patienten möchte aber genau wissen, wie dieser Algorithmus funktioniert. Und da bin ich als Bloggerin schon in einer Sonderposition. jemand, der die Pumpe beantragt, bekommt in der Regel noch weniger über das System zu hören als wir Blogger.
Ich bin aber auch davon überzeugt, dass jemand, der eben keine Looper-Erfahrungen hat mit diesem System überaus glücklich werden könnte. Wir sollten hier nicht vergessen, dass die 670G momentan als einziges Loop-System auf dem offiziellen Markt ist.
Jedem dem das DIY-Loopen zu gefährlich und zu unsicher ist, für den ist die Minimed670G eine tolle Möglichkeit.
Nicht zu vergessen, dass so ein DIY-Loop viel Arbeit und viel Aufwand erfordert. Auch diese Systeme funktionieren nicht einfach so von heute auf morgen. Es braucht da einiges an Initiative und zwar Eigeninitiative. Die fällt bei der 670G natürlich weg, außerdem ist man rechtlich abgesichert und befindet sich nicht in einer Grauzone.
Sabine Schultz meint
Wunderbar, ich dachte schon, ich wäre mit Nanotechnik beschichtet … von 6 Sensoren hat einer 7 Tage gehalten … ich bin jetzt bei Kinesiotape gelandet, weil ich mir mit den dazu gelieferten Pflastern fast einen Teil der Haut verletzt hätte …
Der Algorithmus ist mir auch nicht klar … ich habe ständig Warnungen vor niedrig. Eigentlich dürfte das ja nicht sein, weil die Pumpe gegensteuern sollte. Und trotzdem sind mir meine Werte zu niedrig. Ich haben einen Zielwert von 140, bei 100 muss ich mich nur ein wenig bewegen und abwärts geht es mit dem Zucker.
Wie auch immer, ich habe der Pumpe 14 Tage zum Lernen gegeben und trage sie jetzt seit einer Woche im Automodus. Ich habe das Gefühl, seit dem hat sie das Lernen eingestellt …
na ja, ich warte mal weiter ab. Sonst kehre ich zu meinen ganz normalen blutigen Messungen und normalem Modus zurück.