Nach 15 Jahren Diabetes fühle ich mich wie ein Neuling.
In gewisser Weise bin ich das auch.
Seit Montag trage ich nun meine Pumpe, den OmniPod. 5 Tage war ich deswegen stationär im Krankenhaus zur Pumpeneinstellung und habe dort so viel gehört und erfahren, dass mir nun etwas der Kopf raucht.
Ein bisschen bin ich froh, dass ich meine Diagnose mit zehn Jahren bekam und das damals alles so leicht aufgenommen habe. Heute wäre ich mit alldem mehr als nur überfordert.
In der letzten Woche hatten wir jeden Morgen und Nachmittag jeweils zwei Kurseinheiten in denen alte Sachen wiederholt, aber auch viel neues für mich dazu kam.
Wir waren fünf Teilnehmer, von denen zwei bereits seit gut 10 Jahren eine Pumpe tragen. Alle anderen waren Neulinge.
Die Tage fand ich wirklich total schön. Denn man war nicht alleine. Wir alle saßen zusammen über unseren Tellern und rechneten BE’s, KE’s, BE- und Korrekturfaktoren aus.
Es war beruhigend zu sehen, dass man nicht alleine war.
Falsche Basalrate, zu hoher Bolus-Fakor, Unterzuckerungen oder Spitzen nach dem Essen. Wir alle hatten die gleichen Probleme und jeder konnte den anderen verstehen. Man gab sich Tipps und tauschte sich aus. Ich fühlte mich sehr gut aufgehoben und verzweifelte nicht sofort, wenn mein Wert in roten Zahlen dargestellt wurde. Das passiert, nicht gleich den Mut verlieren, sagte man uns. Und das ist genau das, was ich bisher immer tat. Bei schlechten Werten verliere ich sonst immer sofort die Motivation und will den Diabetes am liebsten in die Ecke pfeffern.
Aber diese Woche hat mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin. Das jeder diese Probleme kennt und das es ganz normal ist. Es ist kein Weltuntergang und passiert jedem Mal.
Das hatte ich über die Jahre vergessen.
Das und noch viel mehr. Mit den Jahren schleichen sich Fehler ein, die dann so in den Alltag übergehen, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt.
Wir alle hatten seit mindestens 15 Jahren Diabetes und waren erstaunt, als man uns erzählte, ein Brötchen habe mittlerweile 2,5 – 3 BE. Wir alle hatten damals gelernt, das ein Brötchen 2 BE hat und jeder hatte dies so beibehalten.
Ich musste auch feststellen, dass ich zwar ganz gut im Essen schätzen war, aber keine Ahnung mehr von der eigentlichen Kohlenhydratangabe hatte. Und auch, wenn das Schätzen am Ende das Ziel ist, sollte man sich doch hin und wieder mal vor Augen führen, wie viel Kohlenhydrate das Essen nun wirklich hat und auch mal eine Wage zur Hand nehmen um es zu kontrollieren.
Genau das werde ich jetzt in den nächsten Wochen tun. Das Essen abwiegen und BE-Tabellen mit mir herum tragen nur um meine Schätzwerte zu verbessern. In 15 Jahren ändert sich doch das ein oder andere. Und der Blick auf all das wird etwas verzerrt.
Verzögerter Bolus, was ist das?
Es ist wirklich faszinierend, was für zahlreiche Möglichkeiten man mit der Pumpe hat und ich war ehrlich erstaunt, dass ich erst jetzt dazu bereit war, diese Vorteile gegen meinen Pen einzutauschen. Schon nach nur einem Tag, fand ich mein vorheriges Verhalten unvorstellbar.
Klar, am Anfang sind es eine Menge neue Informationen, die auf einen herein prasseln und ich werde auch noch eine ganze Zeit brauchen, bis ich die Pumpe wirklich so anwenden kann, wie sie es mir erlaubt, aber eintauschen möchte ich sie schon jetzt nicht mehr.
Gestern Abend war der erste Abend in „Freiheit“ und prompt lief alles schief.
Mein Freund und ich wollten meine Rückkehr mit einem leckeren Essen feiern. Wir kochten Spätzle mit Carbonarasoße.
Akribisch rechnete ich mit Wage und Taschenrechner meine BE’s aus. Im Moment habe ich da sogar richtig Freunde dran.
Weil ich einen Ausgangswert von 77mg/dl hatte und Nudeln ja bekanntlich lange nachwirken setzte ich den für mich neuen verzögerten Bolus auf 1 Stunde.
Eine Stunde später war ich schon auf 44mg/dl gefallen. Ich aß schnell 2 BE und brach die verbleibenden Einheiten ab.
Bevor ich zu Bett ging teste ich noch mal meinen Blutzucker und lag bei 86 md/dl. Da mir das für die Nacht etwas zu tief war, aß ich noch schnell eine BE.
Um 4 Uhr wachte ich auf, weil ich unfassbaren Durst hatte. Schnell den Blutzucker gemessen und tada: 444mg/dl. Na super, wo kommt der denn jetzt her?
Liegt es daran, dass ich die restlichen 2 Einheiten zum Essen nicht mehr abgegeben habe?
Wirken die Nudeln erst jetzt, 8 Stunden später?
Ist es eine Gegenregulation?
Ich muss ehrlich gestehen, dass es für mich gerade ein absolutes Mysterium ist.
Den Diabetes entdecke ich gerade wieder ganze neu.
Aber das tut mir gut und war nötig, denn mein Hba1c lag bei der Einlieferung wieder bei 9.9 und ich muss auch gestehen, dass ich in letzter Zeit wieder keine Lust auf diese Krankheit hatte.
Nun sehe ich das alles mit anderen Augen. Ich habe wieder Motivation und sogar etwas Spaß an der Krankheit.
Mal wieder genau zu sehen, was ich esse und was mein Körper dafür wirklich benötigt.
Das ich nicht nur einen BE-Faktor für den ganzen Tage habe, sondern jede Tageszeit noch individueller zu gestalten ist als bisher.
Vorher konnte ich mit meinem Pen nur 1 Einheit abgeben, mit der Pumpe sind es 0,1. Was ich damit alles machen kann, war mir bis dato gar nicht bewusst und fasziniert mich. Es ermutigt richtig zum Probieren und vor allem zum Optimieren.
Auf einmal erscheint das Erreichen des Zielwertes viel einfacher.
Wichtig ist wirklich, dass Ihr nicht aufgebt und deprimiert seid, wenn es mal nicht auf Anhieb so klappt, wie Ihr wollt.
Unsere Beraterin, selbst seit vielen Jahren Diabetikerin und Pumpenträgerin, erzählte uns, dass sie eine Woche, jeden Nachmittag den Rührkuchen aus der Cafeteria aß um herauszufinden wie viel sie wann spritzen muss, damit er ganz abgedeckt ist.
Manchmal ist es eben so. Man muss viel ausprobieren und abschätzen. Jeder Körper und Diabetes ist anders. Es gibt kein Erfolgsrezept, außer am Ball bleiben und nicht den Mut zu verlieren.
Das werde ich mir nun zu Herzen nehmen.
Die besagten Nudeln gibt es übrigens heute wieder. Neuer Versuch, neues Glück 😀
Eure
Miki meint
Hi Lisa, immer wenn viel Fett und viele Kohlenhydrate am Start sind: einen kleinen schnellen Bolus, einen kleinen verzögerten Bolus und später kontrollieren und noch was hinterher. Anfangs hab ich es fertiggebracht, NACH einem fetten Tortenstück unterzuckert da zu sitzen. Meine Pumpe kann auch eine verzögerte Startzeit und beim Multiwave-Bolus kann ich das alles in einem machen, daher nennt der sich auch „Pizza-Bolus“. Das übt sich aber alles…. irgendwann macht man das alles „aus dem Bauch“. Pass gut auf dich auf!
Sassi Smile meint
Ahhh, schön – ich freu mich für dich, dass du endlich dein „Baby“ hast & dadurch so viel Motivation wieder findest 🙂
Katrin B. meint
Hallo Lisa, finde es interessant wie unterschiedlich die „Eingewöhnung“ gehandhabt wird. Ich bekomme in zwei Wochen auch endlich meinen Omnipod, aber nicht stationär im Krankenhaus, sondern bei meinem Berater in der Praxis. Wolltest du es so? liebe Grüße, Katrin
Lisa Inthesky meint
Hallo Katrin!
Als ich vor sechs Jahren eine Schlauchpumpe probierte, wurde diese bei mir auch ambulant eingestellt. Meine jetzige Praxis macht das bei der ersten Pumpe aber eigentlich nur stationär. Aber ich finde das super. Man kann nie genug geschult werden und der Aufenthalt hat mir noch in vielen anderen Dingen die Augen geöffnet, also ich habe es gerne so gemacht 🙂