Welcher Typ F-ler kennt es nicht: Immer mal wieder rutscht die zuckersüße, bessere Hälfte in eine Hypo und auf einen Schlag kann ein mittelschwerer Stimmungs-Orkan losbrechen. Oftmals hilft da nur die Flucht und aus der Ferne so lange mit Keksen werfen, bis die Situation wieder entschärft ist.
Mir persönlich wird inzwischen unterstellt eine Art Warnhund zu sein und diese Situationen regelrecht zu „wittern“. Deshalb möchte ich ein paar Tipps im Umgang mit den besonders übellaunigen Gefühlsausbrüchen bei Hypos geben. Denn manchmal können Situationen entstehen, denen man lieber aus dem Weg gehen sollte.
Als Beispiel nehmen wir einfach mal meine Lisa. Normal ist sie eine friedliebende, harmonie- und kuschelbedürftige Seele. Das kann jedoch schnell umschlagen, wenn mal wieder nicht alles klappt, das Abschätzen nicht funktioniert hat, oder wenn die Augen größer als der Magen waren.
Das ist ganz normal und kommt selbst bei den am besten eingestellten Diabetikern vor. Allerdings kann eine Hypo unter ungünstigen Randbedingungen zur mittelschweren Katastrophe mutieren und nicht selten verlässt einer hinterher mit gekränkten Gefühlen den Raum.
Für mich selbst habe ich über die Jahre 4 Gefahrenstufen unterteilt, die ich euch mit einigen allgemeinen Tipps vorstellen möchte.
Gefahrenstufe 1
Diese Hypos sind noch recht harmlos. Man kann noch rational miteinander reden und schnell durch einen kleinen Happy-Hypo-Snack Abhilfe schaffen.
Wird die Hypo früh genug bemerkt und ist man als vorbildlicher Typ F vorbereitet, kann hier eine gefährliche Klippe schon aus der Ferne umschifft werden. Zu diesem Zweck sollte man immer bis zu drei BE in möglichst schnellwirkender und leckerer Form griffbereit haben.
Dann ist auch schnell alles wieder gut und die Laune bleibt bestens. Puh, Glück gehabt!
Gefahrenstufe 2
Hier beginnt eigentlich erst der herausfordernde Teil des Lebens eines Typ F-lers. Die erste Stufe beschreibt eine Hypo unter entspannten Bedingungen. Das soll heißen unser persönlicher Diabetiker war vorher in guter und ausgeglichener Stimmung. Das Leben verläuft allerdings selten in entspannten Bahnen und meistens stehen wir alle aus irgendwelchen Richtungen unter Stress, sei es nun durch Beruf oder Studium, familiäre oder andere zwischenmenschliche Probleme. Der wichtigste Katalysator für eine eskalierende Hypo ist Stress. Klausurenphase oder Termindruck bei der Arbeit durch heranfliegende Fristen kann schwer auf die Stimmung schlagen und schon wird aus einer Mücke in der Hypo ein Elefant gemacht. Wichtig ist es Warnzeichen frühzeitig zu erkennen und ein gewissermaßen intuitives Gespür für umschlagende Laune zu entwickeln.
Am Beispiel von Lisa merke ich frühzeitig, dass etwas nicht stimmt, wenn sie besonders sprunghaft und quengelig wird. Oftmals zieht sie ein verdrießliches Gesicht und ist im Aufkommen der Hypo schon schlechter gelaunt, als es selbst unter Stress für sie normal wäre. Der Körper reagiert bereits unterbewusst auf die anrückende Hypo und verursacht Unwohlsein in nicht näher definierter Form. Meistens merkt das der betroffene Diabetiker selbst erst um einiges später, doch mit gut eingestellten Antennen erkenne ich so die anrückende Hypo oft noch vor Lisa selbst.
Selbst wenn das aber mal nicht funktioniert, so ist das Wichtigste in der Situation erst einmal Verständnis. Bereits hier können schon unfreundliche Worte fallen, die aber gar nicht so gemeint sind. Also, bleibt locker und entspannt euch, in wenigen Minuten ist es schon vorbei und alles wieder beim Alten.
Gefahrenstufe 3
Ab hier beginnen die wirklich tückischen Fahrwasser. Gefahrenstufe 3 haben wir besonders bei Krankheit oder der ganz speziellen Woche der Frauen einmal im Monat. Besonders dann ist die Stimmung am Tiefpunkt, die Hormone kochen hoch und der Herr der Schöpfung hat mal wieder nicht die unterschwellige Aufforderung im Subtext des eigentlich Gesagten bemerkt. Schnell sinkt die Laune weiter und wenn dann die Hypo auch noch reinkickt, dann muss man schon vorsichtig sein.
Stichwort: Eine ohrfeigenschwingende Armlänge Abstand.
Bereits hier können neben mittelschweren emotionalen Traumata und Gemeinheiten auch Kollateralschäden für die physische Gesundheit entstehen. Man glaubt gar nicht, wie schmerzhaft schon eine zielsicher ins Auge geworfene Taschentuchpackung sein kann – und die ist noch weich.
Hier hilft Verständnis alleine nicht weiter, sondern man muss hier schon vorher Abhilfe schaffen, indem man versucht sehr aufmerksam auf seinen Partner zu achten und besonders in dieser Zeit eine emotionale Stütze ist. Egal ob bei Krankheit oder der Periode, die Stimmung kann hier einfach durch Kleinigkeiten viel stärker schwanken als das normal der Fall wäre. Clever ist also der, der das für sein eigenes Seelenheil und körperliche Gesundheit ausnutzt.
Da ich hier schon ein Klischee bediene, sollten auch die männlichen Typ 1er auf ihre Kosten kommen: Besonders bei männlichen Vertretern könnte dies bei besonders schweren Fällen der „Männergrippe“ anstrengend werden(?). Als Typ F’ler muss man an dieser Stelle einfach mal die Ohren einklappen und das Gejammer verkraften. Stressbälle helfen hier übrigens beiden Seiten ein wenig die schlechte Laune wegzuquetschen.
Gefahrenstufe 4
Hier ist er also: der Hypo-GAU, der schlimmstmögliche Fall. Eigentlich ist er eine Kombination aus allen vorangegangenen Stufen, doch diese addieren sich nicht einfach auf, sondern vervielfachen sich beim Aufeinandertreffen. Krankheit, Periode, Stress, womöglich noch Schlafmangel, Schmerzen und Heißhunger auf Süßes führen todsicher zu einer Eskalation, der selbst der erfahrenste Typ F-ler nur schwerlich gewachsen ist. Wehe dem, der in so aufgeladener Stimmung auch nur falsch zwinkert oder irgendwie im Wege steht. Am besten betrachtet man in dieser Situation seinen Typ 1er entweder als wirklich mies gelaunten Bären, kratzbürstige Löwin oder direkt als einen großen Eimer voller Plutonium. Unter KEINEN Umständen sollte man sich in direkter Linie zwischen Hypohelfer und seinen Typ 1er stellen, die vielleicht folgende Gefühlsexplosion kann einen wirklich arg in Mitleidenschaft ziehen. Vorsicht ist hier also das Gebot. Redet nicht unangesprochen, überlegt euch vorher genau ob und was ihr sagt und um Himmels willen: bei einem Ausbruch solltet ihr panikartig die Flucht ergreifen und euch mindestens 5 Minuten ein Zimmer weiter in Sicherheit bringen. Auch hier gilt erneut, dass man viel Verständnis für seinen Partner braucht, selbst wenn man ihn bei dieser Laune womöglich die Hälfte der Zeit am liebsten in Brand setzen möchte. Man steckt nicht selbst in der Haut seines Partners und kann deswegen nur schwer ermessen, wie schlimm die Situation wirklich ist, doch im Zweifel plädiert man immer für den Angeklagten.
Ersthelfer sein
Das sind sie also, meine 4 Stufen von Hypos, doch damit sind wir noch nicht am Ende angekommen. Zum richtigen Umgang mit Hypos gehört auch die Gefahreneinschätzung beim Partner selbst, denn nicht selten können Unterzuckerungen auch so schwer ausfallen, dass aus schlechter Laune in Sekundenschnelle nackte Panik wird und Selbsthilfe schwierig ist. Dann spätestens heißt es für euch die Ruhe zu bewahren und schnell unterstützend einzugreifen.
Wichtig ist hierbei selbst vorbereitet zu sein. Ihr seid unterwegs und euer Typ 1er hat einige BE eingepackt? Geht lieber auf Nummer sicher und packt auch selbst noch etwas ein. Es mag albern klingen selbst etwas dabei zu haben, aber ihr als Typ F fühlt euch einfach sicherer, wenn ihr euch schon vorher damit auseinandergesetzt habt schnell eingreifen zu können. Im Ernstfall könnt ihr dann noch locker ein paar Leckereien aus dem Ärmel schütteln. Es schadet zum Beispiel auch nichts einmal mit zu einer Schulung zu gehen, um sich tiefere Einblicke zu verschaffen. Es tut gut genau zu wissen, wo Ursachen für Hypos liegen und selbst BE abschätzen zu können. Je besser man sich mit dem Diabetes seines Partners auskennt, desto sicherer fühlt ihr euch bei brenzligen Situationen und reagiert richtig, oder könnt diese zusammen schon vorneweg vermeiden.
Doch bitte, übertreibt es nicht. Ihr seid keine Diabetiker, also gebt euren Rat, aber mimt nicht den Oberlehrer und kritisiert die Entscheidungen eures Typ 1ers. Höfliche Vorschläge werden gerne beherzigt, ansonsten haltet ihr am besten die Klappe.
Mindestens genauso wichtig ist für euch den Einsatz der Notfallspritze in einer Trockenübung mit einem abgelaufenen Modell zu üben. Ihr müsst selbst unter Stress wissen, wie ihr dieses Teil schnellstmöglich einsatzbereit bekommt, denn im Notfall kann euch euer Typ 1er nicht helfen, sondern ihr müsst ihm oder ihr schnell Hilfe zukommen lassen. Deswegen solltet ihr das in regelmäßigen Abständen üben und genau den Standort dieser Spritze kennen.
Aus dem Leben
Entscheidend für den Typ F ist Ruhe bewahren können. Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als Lisa in meiner Gegenwart umkippte. Es war nachts um 2 und ich wurde erst durch den Aufprall von ihr auf den Boden wach.
Panik – nackte, kalte Panik. Das beschreibt meine Gefühle wohl am besten. Stabile Seitenlage war durch das Krampfen nicht möglich und ich hatte echt Angst das Zimmer auch nur eine Sekunde zu verlassen. Doch ich konnte nichts tun, außer schnell BE’s zu holen, um sie nach dem Anfall direkt zu versorgen. Dieser Schritt über die Türschwelle kostet viel Überwindung, aber genau da muss man versuchen so rational, wie es diese Ausnahmesituation zulässt, zu denken und schnell Hilfe herbeizuschaffen. Man fühlt sich selbst schnell vollkommen machtlos, wenn einen die Hypo des Partners kalt erwischt, deswegen atmet einmal durch und legt euch schon vorher immer wieder einen Plan und Be’s zurecht. Das hilft im Ernstfall ungemein.
Ich bin durch das Haus gerannt, wie ein aufgescheuchtes Huhn, um schnellstmöglich ein Glas Saft zu holen und hab ihr das dann direkt eingetrichtert, als die Krämpfe aufhörten und sie wieder halbwegs ansprechbar war. Dennoch erinnere ich mich gut daran, wie schnell einen sowas aus der Fassung bringen kann. Man muss auch in solchen Situationen einen kühlen Kopf bewahren können und schnell wissen, was jetzt am besten zu tun ist. Selbst wenn es Überwindung kostet seinen Liebling da so liegen zu sehen, es gibt nichts, was ihr ohne Krankenwagen oder BE’s ausrichten könnt.
Zum Schluss
Ich hoffe ihr konntet für euch persönlich etwas aus meinem kleinen Gastbeitrag mitnehmen und könnt etwas selbstsicherer mit eurem Typ 1er umgehen. Diabetes kann eine Bürde sein, doch ich habe gemerkt, dass es durchaus hilfreich ist diese gemeinsam zu schultern. Eine helfende Hand, eine liebe Geste und ein paar nette Worte sind sehr viel besser, als einfach vom Partner zu erwarten trotz Diabetes immer „zu funktionieren“.
In diesem Sinne, Augen und Ohren auf, liebe Typ Fler!
Armin Zerbe meint
Diese Erzählung hat mir meine Freundin per sms gesendet. Ich kann vieles aus eigener Erfahrung nach 6gemeinsamen Jahren bestätigen. Was meine “Hypofeintuning“ angeht, gibt es noch Optimierungsbedarf, zumal ich beruflich bedingt auch nicht immer zu Hause bin, und dann in den vielfältigen liegengebliebenen Arbeiten genau diese Hypophasen meiner Liebsten manchmal schlicht nich mitbekomme. Daher danke für Tipps. Deswegen melde ich mich auch im Newsletter angemeldet.
Swantje meint
Ein wundervoller,toller Artikel!! Vielen Dank dafür! Ich schwankte zwischen Lachen und Weinen, sehr gut geschrieben und berührend.
Liebe Grüße Swantje
Mama eines 4 Jährigen Typ 1er❤️
Simone meint
Direkt an meine Mutter weitergeleitet! Gut und verständlich geschrieben. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie man sich am besten hinterm Sofa versteckt und mit Keksen und Cola-flaschen wirft,während der 1er zur Diva wird und urplötzlich wieder lammfromm ist. Du bist nicht Du, wenn deine Werte nicht stimmen! ?
Rainer meint
Wunderbarer Artikel. Ich erkenne so vieles wieder und bin meiner Typ F unendlich dankbar,dass er genau wie du immer!? gut vorbereitet ist und ich mich auf sie in der Hypo verlassen kann.
Rainer