Lange Zeit habe ich nichts von mir hören lassen. Das möchte ich heute ändern und euch erzählen, was los war und wie es mir in der letzten Zeit bis heute ergangen ist. Gefühlt hat sich in den letzten Monaten nicht nur mein eigenes Leben komplett verändert, sondern die ganze Welt.
Typ1-Diabetes und Corona. Gehöre ich zur Risikogruppe?
Ende letzten Jahres gab es die ersten Covid-19 Fälle in China. Seitdem hat sich das Virus, welches hauptsächlich die Lunge befällt, weltweit ausgebreitet. Zur Risikogruppe zählen chronisch Kranke und Menschen ab 50+. Besonders Menschen mit Diabetes, Bluthochdruck, Schilddrüsenerkrankungen, Herz-und Lungenleiden sowie Krebspatienten seien die Hochrisikogruppe.
Als noch junger und recht fitter Mensch mit Typ-1-Diabetes stellte sich mir natürlich schnell die Frage: Gehöre ich damit nun zur Risikogruppe? Eine schnelle Google-Suche, brachte mich zu diesem Artikel, der sehr schön erklärt, dass man als gerade junger Mensch mit Diabetes und einer guten Blutzuckereinstellung sowie stabilen Stoffwechsellage keinem besonders erhöhten Risiko ausgesetzt ist. Mich persönlich beruhigte das. Fand ich doch alles sehr zutreffen für mich. Etwas mulmig wurde mir dann aber doch, da ich zusätzlich eine Schilddrüsenunterfunktion, Bluthochdruck und einen angeborenen Herz-Lungenfehler habe, der mich schon immer anfällig für Lungenentzündungen machte.
Trotzdem liegt es in meiner Natur, die Sorgen über mich selbst zu verdrängen. Das fällt mir besonders leicht, da ich mir immer sofort viel größere Sorgen um die Menschen mache, die ich liebe. Meine Oma im Pflegeheim, meine Eltern im Alter der Risikogruppe und entsprechenden Vorerkrankungen. Bei den Gedanken wurde mir gleich ganz anders.
Freiwillige Quarantäne
Seit gut drei Wochen befinde ich mich in freiwilliger Quarantäne. Die Gründe dafür sind vielseitig. Zuerst einmal habe ich Ende Februar erfahren, dass ich schwanger bin. Momentan macht mir das ziemlich zu schaffen, weil ich den ganzen Tag und auch nachts mit Übelkeit und noch stärkerem Sodbrennen zutun habe. Gefühlt habe ich schon alles probiert, was in so einer Schwangerschaft erlaubt ist, doch nichts hat wirklich nachhaltig geholfen. Ich blieb also einfach vermehrt zu Hause, weil mir schlecht war. In Momenten, in denen es besser war, machte ich Spaziergänge an der Luft oder mithilfe von Youtube Yoga- und Tanzvideos. Relativ schnell gesellte sich aber eine Erkältung dazu. Gerade in der aktuellen Situation wollte ich diese nicht unbedingt „festtreten“. Also ruhte ich mich noch mehr aus. Wegen der Übelkeit und der Erkältung schlief ich manchmal bis zu 18 Stunden am Tag.
Das Leben im Homeoffice
Als das die Empfehlung aus Berlin kam, dass man seine Arbeit, wenn möglich, ins Homeoffice verlegen sollte und generell nur noch aus dem Haus gehen sollte, um wichtige Erledigungen und Termine wahrzunehmen – und, um etwas spazieren zu gehen, befand ich mich schon zwei Wochen zu Hause.
Zumindest das Homeoffice war für mich nichts Neues. Als Freelancerin und freie Autorin arbeite ich generell von zu Hause, da musste ich mich nicht groß umstellen. Vor Arbeit konnte ich mich dann auch kaum retten, denn zum Glück flatterten viele Angebote für Textarbeiten – auch zum Thema Diabetes & Coronavirus ins Haus. Einige Vorträge wurden zwar abgesagt, doch die Pharmaindustrie ist da relativ auf Zack, muss ich sagen. Viele der Vorträge kann ich trotzdem von Hause aus halten. Stichwort: Onlineschulungen. Einen großen finanziellen Einbruch habe ich zumindest vorerst nicht zu befürchten. Eine Sorge weniger.
Doch das Homeoffice machte mir schon immer ein paar Schwierigkeiten. Ich vermisste es tierisch morgens aus dem Haus zu gehen, Kollegen zu treffen und unter Menschen zu sein. Deswegen nutze ich normalerweise jede Gelegenheit, um raus zu kommen und gehe viel zum Sport. Sport wollte ich auch wieder machen, wenn die Erkältung besser geworden ist – doch dann kam Corona und alle Fitnessstudios machten aus guten Gründen dicht.
Quarantäne und Mental Health
Ich schlief also einfach weiter meine 18 Stunden am Tag und es wurde immer schwieriger sich für die Arbeit aufzuraffen. Obwohl mir teilweise wirklich langweilig wurde, hatte ich keinerlei Kraft, Energie und Muße irgendwas zu schaffen. Es war ein Teufelskreis, in den ich immer weiter versumpfte und aus dem ich einfach kein Entkommen sah. Jeden Tag versuchte ich einen Spaziergang an der frischen Luft. Doch zugegeben, waren diese im grauen, betonierten Kassel nicht sonderlich kraftschöpfend. Ich habe noch nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich in dieser Stadt generell nicht sonderlich glücklich bin. Die Liebe und das Studium brachten mich vor sechs Jahren hierher, doch schon nach drei Wochen wurde mir klar: Ich gehe so schnell wie möglich wieder in die Heimat. Und das obwohl ich nach 22 Jahren an ein und demselben Ort unbedingt wegwollte.
Die einzig fußläufige Möglichkeit von unserer Wohnung, um Natur schnupper zu können, ist der Friedhof. Ich muss wohl nicht lange erklären, dass auch diese Spaziergänge nicht sonderlich aufbauend waren. Besonders für mich, der eben auf einem großen Bauernhof groß wurde, mit mehr als 10 Hektar Wald und Wiesen drum herum. Ich fühlte mich wie ein Vogel im Käfig und die noch freiwillig auferlegte Quarantäne und schwindenden Möglichkeiten irgendwas in der Stadt zu machen schlugen enorm auf mein Gemüt.
„Dann musst du wegfahren!“
Vor ein paar Tagen war dann auch der mentale „Break-down“. Mit meinem Freund schaute ich eine Serie, in der der Protagonist von seinen Eltern erzählte. Vielleicht waren es auch ein bisschen die Schwangerschaftshormone, aber für mich gab es kein Halten mehr. Ich brach komplett in Tränen aus, schnappte nach Luft und konnte mich fast eine Stunde nicht beruhigen. Erst als ich wieder Worte stammeln konnte, fragte Peter mich: „Was genau war denn gerade los?“ „Ich habe Heimweh…“ und konnte die Tränen erneut nicht zurückhalten. Er nahm mich in den Arm und sagte: „ich weiß, du magst gerade nicht ohne mich sein, aber vielleicht musst du dann einfach nach Hause fahren!“
„Ja, ich weiß“, schluchzte ich und war sofort wieder Hin- und Her gerissen zwischen meiner Heimat und meiner Liebe in Kassel.
Die nächsten Tage telefonierte ich öfter mit meinen Eltern und das machte es nicht besser. Meine Eltern fragten mich jedes Mal, ob ich nicht nach Hause kommen möchte, sie hätten unten die Ferienwohnung schon komplett für mich fertig gemacht, wenn ich kommen wollte.
Seitdem sich die COVID-19 Ereignisse überschlugen stand für uns alle fest: Sollte es zu einer Ausgangssperre kommen, würde ich sowieso sofort meine Sachen packen und nach Hause fahren. Denn das würde ich in Kassel wahrscheinlich wirklich buchstäblich nicht lange überleben. Mental.
Den einen Morgen war es dann so weit. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen, weil ich so viel geschlafen hatte, ich war rastlos, lief im Kreis und fühlte mich wirklich so, als würde ich bald den Verstand verlieren. Seit Tagen trug ich dieselbe Jogginghose und selbst duschen war ein mentaler Kraftakt. Nichts in Kassel oder in dieser Wohnung machte mich noch glücklich – oder rief irgendeine Emotion in mir hervor. Ich saß nur noch auf dem Sofa und starrte für Stunden an die Wand. Nicht mal Musik oder den Fernseher konnte ich laufen lassen. Alles deprimierte mich einfach zu Tode.
24 Stunden später
Einen Tag und eine erneute schlaflose Nacht später packte ich meine Sachen, stieg ins Auto und fuhr zu meinen Eltern nach Hause. Das ich überhaupt so lange gewartet hatte, lag auch daran, dass ich die Wochen vorher noch Arzttermine hatte, die ich wahrnehmen musste. Doch das war nun alles geschafft. Zu Hause angekommen gab es, anders als sonst, keine Umarmung zur Begrüßung, nur ein Winken über den Hof. Ich richtete mich unten in der Wohnung ein und setzte mich direkt zwei Stunden in den Garten. Ich sog die Sonne in mich auf, die frische Waldluft durchströmte meine Lunge und ich hörte den Vögeln zu. Diese zwei Stunden reichten, um aus mir einen komplett anderen Menschen zu machen. Ich war erstaunt, wie schnell ich meine Energie zurückhatte. Ich zog mir Gummistiefel an und lief in den Wald. Hier begegnete mir, anders als in Kassel, wirklich keine Menschenseele mehr und trotzdem ging es mir so viel besser. Ich wollte mich bewegen, wollte produktiv und kreativ sein! Plötzlich hatte ich nach Monaten wieder Ideen für Blogbeiträge und wurde allgemein aufgeweckter.
Ich weiß nicht, ob das einige von euch verstehen, aber ich möchte einmal versuchen zu erklären, was mein Heimat-Haus für mich bedeutet: Kennt ihr diese Menschen, die betrunken immer wieder von ihrer ersten Liebe anfangen, die sie nie überwunden haben? Tja, ich spreche dann über das Haus. Ich weine und versuche in Worte zu fassen, was mir dieser Ort bedeutet und trotzdem habe ich immer das Gefühl, das keine Worte jemals dafür ausreichen würden. Hier ist meine Familie, hier schlägt mein Herz & meine Seele. Ich verbinde es mit meinen Großeltern, die nicht mehr da sind. Genauso wie mein Bruder, der vor Jahren tödlich verunglückte und mein Hund. Ich hatte so ziemlich die schönste und behütetste Kindheit, die man sich wünschen kann und alleine, wenn ich all das schreibe, kommen mir schon wieder die Tränen. Vor Liebe. Egal wie es mir geht und egal was gerade in meinem Leben los ist: Hier. An diesem Ort kann ich ich sein, vollkommen und ganz. Hier werde ich wieder ganz – egal was vorher war.
Coronavirus – aus der Zeit lernen
Mir ist es schon seit einigen Jahren klar: Kassel ist nicht meine Stadt. Ich bin einfach kein Satdtmensch, auch wenn ich es in jungen Jahren immer sein wollte. Nein, ich bin einfach ganz und ganz ein Dorfmädchen. Thees Uhlmann hat dazu eine schöne Songzeile: „Du kriegst die Leute aus dem Dorf, das Dorf nicht aus den Leuten.“ Tja, true Story, Leute.
Ich weiß dieses unfassbare Privileg, das ich diesen Rückzugsort jeder Zeit habe, absolut zu schätzen und ich würde es jedem anderen wünschen und ebenfalls hierher einladen, wenn ich die Möglichkeit hätte. Versteht mich nicht falsch: Ich weiß, dass das alles sicherlich Jammern auf hohem Niveau ist, aber ich kann eben nur über meine eigenen Gefühle und Gedanken berichten.
So blöd, schwierig und außergewöhnlich diese aktuelle Situation für uns alle ist, habe ich wieder angefangen mich auf positive Dinge zu konzentrieren. Vielleicht lernen wir Menschen mal wieder ein bisschen mehr Demut. Vielleicht merken wir, dass wir nicht ständig reisen und unter Strom stehen müssen. Langeweile und Zeit ist ein kostbares Gut, von dem wir in der Regel immer viel zu wenig haben. Vielleicht können wir lernen, diese Zeit wieder mehr zu schätzen. Uns selbst und unsere Mitmenschen mehr zu schätzen.
Leute, passt auf euch auf. Bleibt für eure – und besonders für die Sicherheit der Anderen zu Hause, vermeidet größeren Kontakt. ABER: passt auch auf eure mentale Gesundheit auf. Gerade in Zeiten von Quarantäne und Ausgangssperren laufen viele Gefahr Depressionen zu entwickeln. Ich verstehe das vollkommen. So habe ich mich die letzten Wochen kaum noch wie ein funktionierender Mensch gefühlt. Ich wollte und konnte gar nichts mehr machen außer Löcher in die Luft starren und nachts wach daliegen. Nutzt die Zeit so, wie es euch guttut, was auch immer das bedeuten mag – solange ihr besonnen und gewissenhaft handelt und euch an die Sicherheits- und Hygienevorschriften haltet. Dann sehe ich auch große Chancen für uns alle, für die Welt und auch die Umwelt.
Die ersten Ergebnisse zeigen bereits, dass es der Umwelt besser geht. Plötzlich gibt es Telemedizin und Videoschaltungen überall und das obwohl es im Januar auf der DiaTec noch als Ding der Unmöglichkeit diskutiert wurde. Staatsoberhäupte treffen sich virtuell, anstatt für jedes Treffen durch die Welt zu jetten. Vielleicht ist es einfach an der Zeit, dass auch ein kleines Umdenken in unseren Köpfen stattfindet und wir uns auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, wie auch immer die für jeden einzelnen aussehen mögen.
Bleibt gesund und stark. Haltet durch und versucht das Beste aus dieser Situation zu machen. Vielleicht könnt auch ihr Chancen für euch neu entdecken, ich wünsche es euch allen.
Weitere Blogartikel zum Thema Diabetes und Coronavirus COVID-19
Süß, happy und fit: Ein paar Gedanken zum Leben mit Diabetes in Zeiten von Corona
PEP ME UP: DIABETES & CORONAVIRUS? EIN PAAR GEDANKEN!
Blood-Sugar-Lounge: Ich habe „Corona“ und Typ-1-Diabetes.
Blood-Sugar-Lounge: Der andere Alltag durch Corona
Andrea meint
Liebe Lisa, wie gut, dass du dich aufgerafft und die Reise gemacht hast zu dem Ort, der dir so am Herzen liegt und gut tut. Erhole dich und lass es dir gut gehen, soweit das möglich ist in dieser besonderen Zeit. Ich kämpfe jeden Tag. Alles Gute für dich und lieben Gruß aus Kassel
Andrea