Die letzten Beiträge drehten sich eher weniger um den Diabetes an sich als vielmehr darum, dass sich mein Leben momentan verändert. Heute komme ich also mit dem nächsten Beitrag um die Ecke, der alle bisherigen Veränderungen wohl in den Schatten stellt und mein Leben grundsätzlich auf den Kopf stellt: Ende Februar habe ich erfahren, dass ich schwanger bin.
In der folgenden Reihe „Typ-1-Diabetes und Schwangerschaft“ möchte ich euch erzählen wie es mir in den ersten 14 Wochen ergangen ist. Wie es mir jetzt aktuell geht und mit den weiteren Veränderungen und Ereignissen fortfahren. Ich werde ein bisschen über meine Arztbesuche und Untersuchungen berichten, Themen wie Ernährung, Sport, Vorbereitungen, etc, behandeln. Selbstverständlich werde ich ganz viel darüber schreiben, wie sich mein Diabetes benimmt, was wir als Menschen mit Typ-1-Diabetes zu beachten und zu berücksichtigen haben und wie ich mit all dem zurechtkomme. Auch möchte ich über die Themen Schwangerschaft und Essstörungen sowie Ängste in gewohnt offener Manier erzählen.
Bevor wir aber dazu kommen, möchte ich euch zum Einstieg erzählen, wie wir von der Schwangerschaft erfahren haben. Es kam nämlich, wie so oft im Leben, alles ganz anders, als man denkt – oder plant.
Im Dezember haben Peter und ich uns verlobt und steckten eigentlich gerade mitten in den Hochzeitsvorbereitungen, auch wenn wir uns dabei bis zum Sommer 2021 zeitlassen wollten. Planung ist schließlich das halbe Leben. Aber eben nur das halbe…
ATTD 2020 in Madrid
So war ich Ende Februar noch beim ATTD in Madrid, was für mich persönlich wieder mal ein Mammut-Abenteuer war. Ich bin einfach kein großer Fan vom Fliegen und habe es bisher nur getan, wenn es keine andere Alternative gab. Dieses Mal musste ich nach Madrid fliegen, alleine. Oh Gott, oh Gott! Ich bin vorher gefühlt tausend Tode gestorben. Auch in Madrid war ich die meiste Zeit einfach unter Strom. Ich hatte nicht nur einige Events, die ich besuchten durfte, sondern war die meiste Zeit zum Arbeiten vor Ort. Ich besuchte den Kongress, machte mir viele Notizen und lauschte gebannt den vielen Vorträgen – alle natürlich auf Englisch, aber da kommt man zum Glück schnell rein. Abends schrieb ich dann Zusammenfassungen und berichtete von meinen Eindrücken. Die ganze Zeit über hatte ich tierische Bauchschmerzen. Ich schob es auf die ganze Aufregung, das ungewohnte Umfeld und den Stress. Eigentlich sollte ich während der Zeit in Madrid auch meine Tage bekommen, doch die traten einfach nicht ein. Natürlich machte ich mir etwas Gedanken, aber nicht besonders große. Das lag einfach daran, dass ich das letzte Jahr über vermehr mit meiner Essstörung zu tun hatte. Ein Ergebnis davon war leider, dass meine Tage das letzte Jahr über sehr unregelmäßig kamen. Mal kamen sie ein bis zwei Wochen zu spät oder blieben ganz aus. Eigentlich ein absolutes NO-GO und Warnzeichen dafür, dass das, was man mit seinem Körper veranstaltet nicht besonders gesund ist. Im letzten Jahr habe ich deswegen auch öfter Schwangerschaftstests gemacht, die natürlich (wir verhüteten schließlich weiterhin, obwohl ich die Pille nicht mehr nehme) immer negativ ausfielen. Aus diesen Gründen war ich in Madrid noch nicht sonderlich besorgt. Nur ein weiterer Punkt ließ mich etwas stutzig werden: Ich hatte Hunger und zwar so enorm, dass es für mich mehr als ungewöhnlich war. Das große Hungergefühl hatte ich mir im letzten Jahr ebenfalls stark abtrainiert.
In Madrid konnte ich jedoch essen ohne Ende; morgens, mittags, abends und zwischendurch. Wenn die Anderen nach dem opulenten Abendessen schon über Bauchschmerzen klagten, ging ich in den Supermarkt und holte mir Knabbereien. Auch das schob ich erstmal auf die Aufregung und die anstrengenden Tage.
Endlich wieder zu Hause, endlich wieder Normalität?
Zurück zu Hause hatte ich direkt einen Termin bei meiner Diabetologin. Mein HbA1c-Wert war zum ersten Mal, seitdem ich ein DIY-Closed-Loop System trage, wieder über 7%. Nämlich bei 7,5%. Ich war nicht gerade erfreut, konnte es mir aber zumindest etwas erklären: in den letzten Wochen waren meine Werte wirklich nicht besonders gut. Sie waren oft hoch und mein Insulinbedarf war fast auf das Dreifache angestiegen. Auch das schob ich wieder auf Madrid, die ganze Aufregung und auch das viele Essen! Langsam wurde ich aber wirklich stutzig. Außerdem zeigte mein Blutbild einen starken Eisenmangel: „Hatten sie irgendeinen größeren Blutverlust?“ fragte meine Diabetologin. Ich weiß nicht genau wieso, aber das war der Moment und der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es ließ mir dann einfach keine Ruhe und so kaufte ich – mal wieder – einen Schwangerschaftstest. Am nächsten Morgen machte ich ihn ganz beiläufig. Mittlerweile hatte ich eine Art Routine entwickelt, legte ihn auf die Badewanne und machte die Hausarbeit zu Ende. Dabei vergaß ich fast, dass im Badezimmer noch immer der Schwangerschaftstest lag. Irgendwann schaute ich auf den Test, in der absolut sicheren Annahme, er sei wie immer negativ. Als ich dann das Wort „Schwanger“ las, musste ich vier Mal hinsehen. „Fuck“ rutschte es mir ungläubig heraus. Fast paralysiert ging ich mit dem Test zu Peter und hielt ihn ihm so dicht vors Gesicht, dass er gar nichts mehr sehen konnte. Als er ihn zum Lesen weiter weghielt, sah er mich an und fragte: „Wirklich?“
„Steht da so… oder?“
Wir waren beide überfordert, denn keiner von uns hatte damit gerechnet. Obwohl wir natürlich beide wussten, wie das mit dem Sex und dem Kinderkriegen funktioniert. In unseren neun Jahren Beziehung waren wir ein paar Mal „unvorsichtig“, das konnte man locker an einer Hand abzählen. Das eine Mal im Januar.
Um ehrlich zu sein, hatte ich die naive und vielleicht sogar aberwitzige Idee, dass es bei mir nach all meiner gesundheitlichen Vorgeschichte nicht so einfach werden wird schwanger zu werden. Nicht bei einem.verdammten.Mal. So ein Glück gab es bei mir einfach nicht. Ich rechnete felsenfest damit vor Schwierigkeiten gestellt zu werden, wenn wir den Entschluss fassen würden, Kinder bekommen zu wollen.
Ohne weitere Diskussionen griff ich zum Telefon und rief bei meiner Frauenärztin an. Mit viel Wartezeit konnte ich noch am selben Tag vorbeikommen. Das wollte ich, denn ich wollte Gewissheit. So richtig glauben und wahrhaben konnte ich es bis zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht. Als nächstes rief ich bei meiner Diabetologin an, die sich zurückmelden wollte.
Auf dem Weg zu meiner Frauenärztin fing Peter schon an sich zu freuen. Auch bei ihm überschlugen sich die Gedanken und zwischen Freude und Fragen malte er sich bereits die Zukunft aus. Ich sagte nichts.
Als wir aufgerufen wurden, war ich tierisch nervös. Meine Frauenärztin kontrollierte per Ultraschall und bestätigte meine Schwangerschaft: „Ja und hier sieht man ja auch schon was…!“
„Also hatte der Test recht?“ rutschte es mir heraus.
„Ja“, meine Frauenärztin musste schmunzeln und in dem Moment freute ich mich wirklich zum ersten Mal.
Das erste Gespräch mit meiner Diabetologin
Noch beim Verlassen der Praxis klingelte mein Handy. Es war meine Diabetologin, die mir gratulierte. Ich dankte noch verhalten. Sie erklärte mir, wie es nun weitergehen würde: „Sie waren ja erst gestern bei mir, deswegen reicht es, wenn wir uns in vier Wochen sehen. Dann nehmen wir nochmal Blut ab und kontrollieren nochmal ihre Schilddrüsen- und Eisenwerte und schauen auch nochmal nach dem HbA1c-Wert. Für sie ist jetzt erstmal wichtig, dass sie auf sich aufpassen und Dinge tun, die ihnen guttun. Ihr Blutzuckerzielbereich sollte sich jetzt zwischen 60-90 mg/dl belaufen. Bis zu höchsten 140 mg/dl eine Stunde nach dem Essen, zwei Stunden nach dem Essen sollte er möglichst schon unter 120 mg/dl sein. Sie werden sicherlich merken, dass ihr Insulinbedarf erst einmal fallen wird. Außerdem müssen sie sich an die neuen Zielwerte gewöhnen, es kann also sein, dass sie jetzt mehr Hypos haben. Haben sie noch ihre Glucagon-Spritze?“
„Ja.“
„Für sie ist das natürlich erstmal unangenehm und kann am Anfang auch anstrengend sein, passen sie auf sich auf. Aber für das Baby sind die niedrigen Werte auf jeden Fall keine Gefahr – nur eben eher für sie! Wenn aber alles soweit gut läuft, würden wir uns dann alle vier bis sechs Wochen sehen. Dabei wird auch immer der HbA1c-Wert kontrolliert. Auch wenn der in dem Falle natürlich nicht immer so aussagekräftig ist, verrät er uns doch einiges über die letzte Zeit und bietet uns einfach Sicherheit, dass alles so läuft wie es soll. Bei ihnen sehe ich das erstmal relativ locker, sie sind ja ein Vollprofi. Beobachten sie einfach ihren Diabetes und passen sie ihr Insulin an. Besonders im späteren Verlauf der Schwangerschaft müssen sie wahrscheinlich wöchentlich Anpassungen vornehmen. Aber so weit sind wir ja gerade noch nicht. Das bekommen sie schon hin!“
Nach dem ich aufgelegt habe, habe ich noch zusätzlich eine leicht panische Sprachnachricht an Kathi von Diabeteswelt geschickt. Die ist, was das Thema Typ-1-Diabetes und Schwangerschaft angeht, nämlich wirklich ein Vollprofi. Auch sie gab mir dieselben Zielwerte durch wie meine Diabetologin und beruhigte mich zusätzlich. In den nächsten Tagen schaute ich mir auf ihrem Youtube-Kanal erstmal alle Videos zum Thema Diabetes und Schwangerschaft an. Das Abenteuer musste also losgehen. Es konnte losgehen.
Große Neuigkeiten
Schon zwei Tage später waren wir wegen einer Familienfeier bei meinen Eltern. Ich wusste natürlich, dass die ein Enkelkind schon seit Jahren kaum abwarten können. Ich kaufte noch schnell ein Buch „Oma und Opa erzählen über dich“ und packte es ein. Außerdem hatten Peter und ich auch das andere Geschenk für die Familienfeier besorgt. Auf der zweieinhalb stündigen Fahrt zu meinen Eltern schlug mir am Ende das Herz bis zum Hals. Ich war so unfassbar nervös. Ich wusste zwar, dass sie sich auf ein Enkelkind freuen würden – aber ungeplant war es ja nun doch. Zunächst gab ich ihnen das Geschenk für die Feier: „Ach, und das hier ist für euch!“
„Für uns? Aber es war doch gar nichts…!?“
Mein Papa nahm das Buch in die Hand und packte es aus. Langsam…unfassbar langsam und auch noch verkehrt herum. Ich versteckte mich mittlerweile fast hinter Peter. Dann fing mein Papa an die Buchrückseite zu lesen und ich wäre fast ausgeflippt. In dem Moment griff auch endlich meine Mama zu ihrer Brille und warf einen Blick über die Schulter meines Papas, der das Buch endlich umdrehte.
Meine Mama fing direkt zu weinen an: „wirklich?“
„Ja…“ zitternd zog ich das Ultraschallbild aus meiner Hosentasche.
„Ich dachte schon, ich erlebe das nicht mehr“ sagte meine Mama und mir fiel ein Stein vom Herzen. Zumindest ein bisschen.
Fortsetzung folgt
Nächste Woche: Wie ging es mir in den ersten 14 Wochen und welche Blutzuckereinstellungen und Zielwerte müssen in der Schwangerschaft erreicht werden. Welche Arztbesuche und Untersuchungen standen an
Sarah meint
Danke für diese interessante Blog-Reihe! Wir versuchen auch gerade schwanger zu werden. Ich finde es ziemlich schwierig einen kühlen Kopf zu bewahren: Zielbereich bis 120 (!) ist ja schon eine große Herausforderung. Auch wenn man halbwegs gut eingestellt ist, das dauerhaft zu halten stell ich mir sehr schwierig vor.
Ich freue mich auf deine Erfahrungsberichte!
Alles Gute weiterhin!
LG.Sarah
Ute alias malin.hb meint
Ich freu mich so für euch❤🙋🏽♀️