Seit meinem 10ten Lebensjahr habe ich Typ-1-Diabetes. Zu mir hat nie jemand gesagt, dass ich keine Kinder kriegen könnte. Klar, am Anfang war ich für solche Aussagen viel zu jung, nämlich selbst noch ein Kind. Als dieses Thema später aufkam, hatte ich immer Diabetologen, die sehr offen zu mir waren: „Mit Diabetes schwanger werden ist heute, mit all den Pumpen und Sensoren eigentlich kein Problem mehr. Sie sollten ihre Schwangerschaft, wenn möglich, aber gut planen und vorbereiten, denn einiges zu beachten gibt es schon!“
Das man die Schwangerschaft planen sollte, wird einem in der Regel immer gesagt und steht auch in allen Richt- und Leitlinien so. Am besten ist es wirklich, wenn der HbA1c schon drei Monate im Voraus stabil im angestrebten Zielbereich ist. [1]
Da ich jemand bin, der mit seinem Diabetes immer mal wieder größere und kleinere schlechte Phasen hat, war für mich klar: Eine ungeplante Schwangerschaft kommt nicht in Frage. Denn dieses Thema löst seit jeher Angst in mir aus. Mit meiner eigenen Gesundheit habe ich lange gespielt und habe sie nicht sonderlich ernst genommen. Trotzphasen, Insulin-Purging, Essstörung, Panikattaken und Angstzustände. All das habe ich mittlerweile durch. Manches davon durchstanden, anderes noch nicht. Für mich habe ich das akzeptiert und kann damit umgehen und leben. Aber was ist, wenn ich plötzlich Verantwortung für ein zweites Leben trage? Ein kleines, unschuldiges Wesen, dass mein Handeln am Ende ausbaden muss.
Ende 2018 habe ich mir zusammen mit meinem Partner ein Do-it-yourself Closed-Loop System gebaut. Ich wollte wissen, ob ich damit in der Lage bin die Zielwerte einer Schwangerschaft zu erreichen. Ich wollte sichergehen, dass ich solchen Anforderungen gerecht werden kann, noch bevor es ernst wird. Und ja, mit diesem System schaffte ich es nach 20 Jahren Diabetes das erste Mal den gewünschten HbA1c, mit guter Time in Range und ohne große Schwankungen zu erreichen. Cool! Meine Diabetologin war ebenso angetan: „Dann können Sie ja jetzt schwanger werden!“ Ich schmunzelte. Ja, ich wollte wissen, ob ich es kann, aber jetzt schwanger werden? Nein, das hatte doch noch Zeit.
Und dann kam es doch ganz anders. Wie ich im letzten Beitrag erzählt habe, ist genau das passiert, was ich eigentlich nie wollte: Ich bin ungeplant schwanger geworden. Noch einen Tag vor dem Schwangerschaftstest war ich zum Quartalstermin bei meiner Diabetologin. Mein HbA1c war leider mal wieder bei 7,5%, weil ich in der letzten Zeit keine Kraft und Energie hatte, mich vernünftig um meinen Diabetes zu kümmern – und irgendwie war er die letzten Wochen wieder ziemlich unberechenbar. Nun, schon einen Tag später wusste ich warum. Aber ich ärgerte mich um so mehr, denn das war eigentlich kein Wert, mit dem ich in eine Schwangerschaft starten wollte. Die letzten zwei Jahre lag mein HbA1c deswegen immer zwischen 6 und 6,5%. Aber gut, ich konnte es nun nicht mehr ändern.
Zielwerte in der Schwangerschaft
Wie ich schon im ersten Beitrag erzählt habe, war meine erste Handlung nachdem ich den positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt, der Griff zum Telefon. Ich rief meine Diabetologin an, die mir die Zielwerte durchsagte.
„Der Diabetes braucht während der Schwangerschaft ein besonders gutes Management: Je besser Ihr Blutzuckerspiegel eingestellt ist, desto besser geht es Ihrem Kind. Die Bauchspeicheldrüse Ihres Babys funktioniert einwandfrei. Wenn Sie einen hohen Blutzuckerspiegel haben, hat auch Ihr Baby viel Glukose im Blut und produziert entsprechend viel Insulin. Das kann allerdings Folgen für Ihr Kind haben:
Die Bauchspeicheldrüse Ihres Kindes „gewöhnt“ sich daran, zu viel Insulin zu produzieren. Durch diese „Fehlprogrammierung“ fällt es Ihrem Kind später schwerer, ein normales Gewicht zu halten.
Durch die überhöhte Insulin-Produktion und dem vielen Zucker im Blut legt Ihr Kind schon in Ihrem Bauch ordentlich an Gewicht zu (sogenannte Makrosomie). Das kann zu Problemen bei der Geburt führen, da Ihr Kind schlicht zu groß für den Geburtskanal ist. Das hohe Gewicht bei der Geburt ist ein zusätzlicher Risikofaktor für späteres Übergewicht und damit für Typ-2-Diabetes.
Direkt nach der Geburt kann Ihr Kind unterzuckern, da die überhöhte Insulinproduktion erst „runtergefahren“ werden muss.“
Quelle: diabetesDE [2]
Zeit | mg/dl | mmol/l |
---|---|---|
nüchtern, präprandial | 65 – 95 | 3,6 – 5,3 |
1 Stunde nach dem Essen | < 140 | < 7,7 |
2 Stunden nach dem Essen | < 120 | < 6,6 |
Vor dem Schlafen | 90 – 120 | 5,0 – 6,6 |
Nachts | > 65 | > 3,6 |
Mittlere Blutglukose | 90 – 110 | 5,0 – 6,1 |
„Eine sofortige postprandiale Korrektur soll ab 200 mg/dl (11,0 mmol/l) vorgenommen werden.“[4]
Schwere Unterzuckerungen können während einer Schwangerschaft schneller auftreten, da sich der Körper an die niedrigeren Zielwerte gewöhnt und Symptome ausbleiben könnten. Auch kann es sein, dass die Gegenregulation nicht immer greift. Schwere Unterzuckerungen mit Fremdhilfe sollten aber auf jeden Fall vermieden werden.
Eine Ketoazidose sollte ebenfalls auf jeden Fall verhindert werden. Sie sollte außerdem sofort im Krankenhaus stationär behandelt werden. All das könnt ihr in den Richt- und Leitlinien der DDG lesen, die ich in diesem Beitrag oft zitieren werde. Das Dokument lege ich euch also wärmstens ans Herz, wenn ihr schwanger werden möchtet oder es schon seid.
HbA1c-Werte während der Schwangerschaft
„Präkonzeptionell soll eine normnahe Stoffwechseleinstellung mit einem HbA1c < 7 % (besser < 6,5 %) für mindestens 3 Monate erzielt werden. […]
Der HbA1c-Wert sollte alle 4 – 6 Wochen bestimmt werden und im Referenzbereich für Gesunde liegen.“[5]
„Es wird empfohlen, schon drei Monate vor Eintritt einer (möglichst geplanten) Schwangerschaft einen HbA1c-Wert anzustreben, der idealerweise niedriger als 6,6 Prozent, mindestens aber unter sieben Prozent liegt.“ [6]
Betreuung, Arztbesuche und Untersuchungen
„Da jede Schwangerschaft einer Diabetikerin eine Risikoschwangerschaft bedeutet, sollte die Betreuung der Frauen von einem Diabetologen und Gynäkologen erfolgen und die Geburt in einem Perinatalzentrum organisiert werden.“ [7]
In der Regel steht alle 4-6 Wochen ein Termin in der diabetologischen Schwerpunktpraxis an. Hier wird der HbA1c- und andere Blutwerte kontrolliert. Außerdem sollte mit dem/der Diabetesberater*in und/oder Diabetolog*in die Blutzuckerwerte und Einstellungen gesprochen werde. Besonders in der Schwangerschaft muss die Therapie immer wieder neu angepasst werden. Die Basalrate, Korrektur- und Bolusfaktoren können sich häufig ändern.
In den meisten Fällen sagt man, dass der Insulinbedarf zu Beginn der Schwangerschaft stark fällt, bevor er anschließend wieder steigt. Besonders im dritten Trimester muss die Therapie häufig von Woche zu Woche neu angepasst werden.
Auch zum Augen- und Zahnarzt sollte man mindestens einmal während der Schwangerschaft gehen. Zudem solltet ihr eure Nieren- und Schilddrüsenwerte etwas im Blick behalten.
Laut den DDG- Leitlinien sollte ein Augenarzt sogar 4Mal besucht werden, wenn keine diabetische Retinopathie vorliegt:
Ich war jedoch direkt nach der Diagnose der Schwangerschaft bei meiner Augenärztin. Eigentlich sollten meine Augen getropft werden, aber aufgrund der Schwangerschaft wurde es nicht gemacht. Sie meinte, dass würde man nur machen, wenn es zu Komplikationen kommt. Da nach wie vor alles gut aussah, habe ich erst wieder im September einen Termin, also noch während der Schwangerschaft.
Vererbung des Diabetes?
„Das Risiko der Kinder, an einem Typ-1-Diabetes zu erkranken, liegt bei 0,8 % nach 5 Jahren (5,3 % nach 20 Jahren). Ist auch der Vater an Typ-1-Diabetes erkrankt, beträgt das 5-Jahres-Risiko 11 %, ist neben der Mutter auch ein Geschwister erkrankt, liegt die Rate nach 5 Jahren bei 12 %. Das Risiko in der Allgemeinbevölkerung beträgt bis zum 25. Lebensjahr ca. 0,3 %.“[8]
Das Risiko, dass das Kind selbst an Diabetes erkrankt ist also gar nicht so hoch. Da nicht nur ich, sondern auch mein Bruder Typ-1-Diabetes hat, liegt unser Risiko etwas höher.
Risiken
„Neugeborenen-Sterblichkeit (tot geboren oder innerhalb von 7 Tagen nach der Geburt verstorben): zwei bis vier Prozent
Große Fehlbildungen (z.B. Herz, herznahe Gefäße, Neuralrohr): 8,8 Prozent
Frühgeburten (Geburt vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche): 25 bis 58 Prozent
Schwangerschaftsvergiftung (Präeklympsie): elf bis 66 Prozent“[9]
Bei Frauen mit Diabetes kommt es bei der Geburt häufiger zu einem geplanten Kaiserschnitt. Das kann z.B. daran liegen, dass Kinder von Menschen mit Diabetes manchmal schwerer und größer sind als andere.
Viele Informationen, ABER
Ich weiß, dass kann ganz schön erschlagend und angsteinflößend wirken. Mir selbst hat es vorher tatsächlich Angst gemacht. Wegen all dieser Punkte wollte ich nicht ungeplant schwanger werden. Und genau deswegen wird auch so sehr geraten eine Schwangerschaft zu planen. Aber manchmal passiert das Leben eben einfach so, während man noch ganz andere Pläne macht. Natürlich kann ich nicht sagen, wie meine Schwangerschaft ausgehen wird, das werden wir erst Ende Oktober wissen. Und auch jetzt mache ich mir natürlich viele Sorgen und Gedanken!
Aber ich kann euch auch etwas beruhigen. Für mich waren die ersten Wochen wirklich anstrengend, darum wird es auch im nächsten Beitrag gehen. Aber mittlerweile habe ich mich recht gut eingefunden. Ich habe mich an die neuen Zielwerte gewöhnt und komme gut zurecht. Auch wenn mir Ausrutscher gerade nach oben wirklich Angst machen. Die Arztbesuche mögen auch erstmal viel klingen, aber das bekommt man schon hin. Die Ärzte wissen ja auch, dass man noch ein Leben hat. Viele Termine sind reine Kontrolltermine, die euch Sicherheit geben werden und vieles davon kann auch per Telefon besprochen werde. Wenn ihr euch einfach gut kümmert und euch dieser ganzen Situation bewusst seid, ist das alles durchaus zu schaffen. Und wenn ich das mit meinem chaotischen Diabetes und Leben sage, dann könnt ihr das erst recht!
Bei Facebook gibt es außerdem zwei Gruppen: Schwanger mit Typ 1 und Schwanger- und Mamisein mit Typ 1. Da sind die meisten Erfahrungsberichte doch eher sehr positiv. Aber auch für Fragen und Austausch ist hier immer Platz!
Quellen und Verweise
[1] https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Leitlinien/Praxisempfehlungen/2018/DuS_S2_2018_Praxisempfehlungen_07_Diabetes-und-Schwangerschaft.pdf, Seite 166
[2] https://www.diabetesde.org/besonderheiten-schwangeren-diabetes-typ-1-typ-2
[3] https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Leitlinien/Praxisempfehlungen/2018/DuS_S2_2018_Praxisempfehlungen_07_Diabetes-und-Schwangerschaft.pdf, Seite 167
[4] Ebendiese, Seite 166
[5] Ebendiese, Seite 166
[6] https://www.diabetesinformationsdienst-muenchen.de/leben-mit-diabetes/kinderwunsch/index.html
[7] Ebendiese
[8] https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/fileadmin/Redakteur/Leitlinien/Praxisempfehlungen/2018/DuS_S2_2018_Praxisempfehlungen_07_Diabetes-und-Schwangerschaft.pdf, Seite 167
[9] https://www.diabetesde.org/ueber_diabetes/was_ist_diabetes_/diabetes_und_schwangerschaft/diabetes_und_schwangerschaft
https://menschen-mit-diabetes.de/ratgeber/familienplanung-typ-1-diabetes
https://www.diabetes-ratgeber.net/Diabetes-Schwangerschaft
Erfahrungsbericht einer Dia-Mama – Tipps für diejenigen, die es noch werden wollen
https://www.facebook.com/groups/2112548148971403/
https://www.facebook.com/groups/831734446838411/
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