
„Sie sind noch komplett geburtsunreif“
Fünf Tage vor dem errechneten Geburtstermin hatte ich den letzten Termin bei meiner Frauenärztin. Schon morgens hatte ich leichte Bauchschmerzen und fühlte mich einfach noch „praller“ als sonst. Auf dem Weg zum Frauenarzt machte mir jede Bodenwelle zu schaffen. Doch das CTG war unauffällig, es waren also keine Wehen. Das CTG war laut Hebamme ein „Bilderbuch CTG, das sich jeder wünscht.“ Da konnte ich mich ja nicht beschweren. Etwas enttäuscht, dass keine Wehen dabei waren, war ich allerdings doch. Doch ich sollte noch etwas härter auf den Boden der Realität zurückgeholt werden. Bei der anschließenden Untersuchung bei meiner Frauenärztin war der Ultraschall ebenfalls gut. Als sie nach dem Muttermund, dem Gebärmutterhals und der Position des Kindes schaute, stellte meine Frauenärztin fest: „Sie sind noch komplett geburtsunreif. Der Muttermund ist noch zu und der Gebärmutterhals noch kein Stück verkürzt. Die Kleine sitzt auch noch relativ weit oben. Ich denke vor dem Termin wird es nicht mehr von alleine losgehen.“ Ich war wirklich etwas enttäuscht. Hatte ich doch so gehofft, dass es vor dem errechneten Geburtstermin von alleine losgehen würde. Denn am Termin sollte ich eingeleitet werden und das wollte ich eigentlich gerne vermeiden.
„Du wirst wissen, wenn es Wehen sind.“

Am Abend, auf dem Sofa, kamen die Bauchschmerzen zurück. Zuerst dachte ich, es würde an der Tüte Chips liegen, die ich mir am Freitagabend zum Filmegucken gegönnt hatte. Doch in der Nacht wurden die Schmerzen immer schlimmer. So schlimm, dass ich nicht mehr schlafen konnte. Ich legte mich aufs Sofa, wackelte durch die Wohnung und nahm ein Bad. Nichts davon half wirklich. Irgendwann verbuchte ich den Schmerz als Übungswehen. Richtige Wehen konnten es nicht sein, schließlich hatten mir alle gesagt, dass ich es „sofort wissen würde“, wenn es richtige Wehen sind. Dafür fand ich den Schmerz nicht schlimm genug. Außerdem hörte ich meine Frauenärztin die ganze Zeit im Hinterkopf: „Es geht auf keinen Fall noch von alleine los.“
Samstagmittag waren die Schmerzen dann auch vorbei. Ich nutze die Chance und holte etwas Schlaf nach. Doch am Abend kamen die Schmerzen zurück. Wieder nahm ich ein Bad und watschelte viel durch die Wohnung. Außerdem stellte ich die Wehen-App an. Ich wurde langsam etwas unsicher. Die Schmerzen waren erträglich und ich dachte nach wie vor nicht an richtige Wehen, aber … ach, ich wusste es doch auch nicht. Mit der App stellte ich schließlich fest, dass die Schmerzen sehr regelmäßig kamen. Alle fünf Minuten für etwa eine Minute. Gegen ein Uhr rief ich in der Klinik an und schilderte mein Problem: „Ich habe Schmerzen. Die sind gar nicht so schlimm und auszuhalten, aber sie sind sehr regelmäßig.“ Die Dame am Telefon konnte mir auch nicht sagen, ob es nun Wehen waren oder nicht und sie sagte: „Sie können gerne vorbeikommen, oder es nochmal mit Schlafen probieren.“ Ich versuchte es also mit Schlafen. Doch das war vergebens. Schon eine gute Stunde später waren wir auf dem Weg in die Klinik. Am CTG hatte ich dann endlich Gewissheit: Es sind Wehen! Beim Ertasten des Muttermunds stellte die Hebamme fest, dass er bei 2 cm war. Nach ein paar Untersuchungen wurde ich vor die Wahl gestellt: „Ihr Muttermund ist erst bei 2cm. Sie können hierbleiben, wenn sie das wollen. Sie können aber auch nochmal nach Hause fahren. Nochmal versuchen zu schlafen. Aber wahrscheinlich sehen wir uns am Tag wieder.“ Natürlich entschied ich mich dazu mit Peter wieder nach Hause zu fahren, denn die Wehen hatten im Krankenhaus deutlich nachgelassen. Kaum zu Hause angekommen waren sie jedoch wieder da und wurden fortan auch immer schlimmer. Ich machte also das, was ich schon seit Freitagabend machte: durch die Wohnung wandern, mal im Bett liegen, mal auf dem Sofa, mal im Sessel sitzen, mal in der Badewanne liegen. Gegen 7 Uhr hielt ich es nicht mehr aus. Ich weckte Peter und sagte ihm, dass wir jetzt wieder ins Krankenhaus fahren müssen.
„Da haben sie ja gute Vorarbeit geleistet“

Zurück in der Klinik wurde ich direkt wieder ans CTG angeschlossen, dieses Mal waren die Wehen deutlich zu sehen. Zuerst mussten Peter und ich jedoch einen Corona-Test machen, damit wir die Mund-Nasen-Masken abnehmen durften. Die Ergebnisse dauerte aber etwas. Dann wurde direkt nochmal nach dem Muttermund getastet. Als die Hebamme gerade am Tasten war platze meine Fruchtblase auf der Liege. Der Muttermund war mittlerweile auch bei 7cm: „Da haben sie zu Hause aber gute Vorarbeit geleistet. Dann mache ich mal den Kreissaal fertig.“ Wir bekamen noch ein kleines Frühstück und ich ein paar Schmerzmittel dazu. Anschließend gingen wir in den Kreissaal. Dort wurde ich wieder gut verkabelt. Ich stellte mich bei jeder Wehe hin und klammerte mich an Peter, malträtierter seine Hände und Arme. Außerdem vergaß ich immer das Atmen, ich presste nur meine Zähne zusammen. Peter erinnerte mich jedes Mal: „Atmen!“ und machte Tatsächlich die klassischen Atemübgungen, die wir im Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatten. Dann wurde ich gefragt, ob ich eine PDA haben möchte. Ich wollte. Wenig später wurde sie auch schon gesetzt und ab da war alles viel angenehmer. Wir bekamen Mittagessen und ich telefonierte sogar ganz entspannt mit meiner Mama. Mir ging es richtig und gut ich war super entspannt. Immer wieder kam die Hebamme und schaute nach dem CTG und meinem Muttermund. Der war irgendwann ganz offen, doch ich spürte die Wehen einfach nicht mehr. Die Hebamme legte Hand an und versuchte mich zu motivieren: „Wenn eine Wehe kommt, pressen!“ Doch ich merkte nichts. „Peter, kannst du auf das CTG gucken und mir sagen, wenn eine Wehe kommt?“ Ich fand das in dem Moment gar nicht schlimm, ich war so froh, die Wehen nicht mehr zu spüren. Dass das fatal war wurde mir erst später klar.
Gegen 16 Uhr und vielen Pressversuchen später stand fest: Geburtsstillstand. Die Kleine lag nach wie vor zu weit oben und machte auch bei den Wehen keine Anstalten mehr nach unten zu rutschen. „Es kann sein, dass das hier jetzt im Kaiserschnitt endet.“ „Wenn es so ist, dann ist das so. Für mich ist das okay!“. Eigentlich dachte ich nur: „Ok, dann rausholen, jetzt. Bitte!“
Dann wurde das CTG auffällig und eine Ärztin nahm der Kleinen Blut vom Kopf ab. Zwei Mal, weil sie beim ersten Mal zu wenig Blut bekam. Doch auch beim zweite Mal klappte es nicht. Beim dritten Mal kam die Oberärztin und versuchte ihr Glück. In mir schrie es innerlich: „Holt sie doch einfach raus!“ nach dem dritten Blutabnhemen stand fest: Kaiserschnitt, jetzt!
Na endlich!
„Sie lebt!“

Ich wurde noch kurz aufgeklärt und dann direkt in den OP geschoben. Dort bekam ich noch eine weitere Betäubung. Peter saß neben meinem Kopf und dann ging alles irgendwie ganz schnell. An mir wurde geruckelt und gezogen, es fühlte sich an, als würden sie meinen kompletten Bauch öffnen und darin herumwühlen. Plötzlich so ein leeres Gefühl, wie der schrumpfende Magen in einer Schiffschaukel. „Da ist sie! Ein Mädchen, herzlichen Glückwunsch!“ Um mich herum standen etwa sechs Personen, Ärzte, Hebammen und Anästhesisten. Alle gratulierten uns. Ich sah außer dem blauen Vorhang nichts. Und ich hörte nichts. Kein Schreien. Ich konnte die Glückwünsche nicht annehmen, bevor ich das Baby nicht selbst gesehen oder gehört habe. Dann hörte ich zwei kleine Quiecklaute hinter dem Vorhang. „Sie lebt!“ sagte ich ungläubig zu Peter. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass mein Körper das geschafft hatte. Um 17:00 Uhr kam Charlotte am Sonntag, den 25.10. mit 3350g und 50cm zur Welt.
Peter ging mit der Kleinen mit und ich wurde in den Aufwachraum geschoben. Dort bekam ich noch eine Infusion mit Hormonen, die bei einer natürlichen Geburt ausgeschüttet werden, beim Kaiserschnitt aber ausbleiben. Anschließend wurde ich zurück in den Kreissaal geschoben und Peter und die Kleine folgten mir direkt. Die nächsten vier Stunden konnten wir zu dritt im Kreissaal bleiben und uns kennenlernen. Außerdem bekamen wir noch Abendbrot. Gegen 22 Uhr wurde ich zusammen mit Lotte aufs Zimmer geschoben
Der Diabetes während der Geburt

Normalerweise sagt man ja, dass vor der Geburt der Insulinbedarf wieder fällt. Tja, bei mir stieg er bis zum letzten Moment. Auch während der Geburt fiel er nicht. Ich stellte die Basalrate zwar vorsichtshalber auf 70%, lag dann aber die ganze Zeit bei etwa 170 mg/dl. Für mich zählte: sicher ist sicher. Während des Kaiserschnitts stieg er sogar kurz auf 180 mg/dl. Peter hatte mein Handy und überwachte meine Werte. Zwar mussten wir kurz erklären, warum das Handy auch im OP beim Kaiserschnitt so wichtig war, doch dann durften wir alles mit hineinnehmen. Etwas schwieriger war es mit dem Traubenzucker: „Das brauch sie nicht!“ Ich fragte mich die ganze Zeit: „woher wollen sie das wissen?“ Zum Glück blieb Peter hartnäckig und wir konnten alles mit in den OP nehmen. Ich war schon viel zu geschafft, um das alles zu erklären und zu diskutieren. Erst ein paar Stunden nach der Geburt, als ich auch anfing zu stillen, fiel mein Blutzucker.
Der Blutzucker bei Charlotte

Direkt nach der Geburt war Charlottes Blutzucker beim Wiegen und Messen etwas zu niedrig. Da ich es nicht geschafft hatte, Vormilch auszustreichen, wurde sie zugefüttert. Auch eine Stunde später war sie noch etwas niedrig und bekam noch etwas. Dann legte ich sie zum Stillen an, doch meine Milch reichte nicht, um ihren Blutzucker genug in die Höhe zu treiben und in der Nacht, sowie am nächsten Tag wurde sie noch zwei Mal zugefüttert. Ihr niedrigster Wert lag einmal bei 47 mg/dl. Das geht eigentlich noch und deswegen durfte sie auch die ganze Zeit bei mir bleiben. Nach dem letzten Zufüttern gegen Mittag am Tag nach der Geburt konnte sie ihren Blutzucker selbstständig halten.
„Mir geht’s richtig gut“

Ich hatte so unfassbare Angst vor der Geburt, dass am Ende alles besser war wie in meiner Vorstellung. Und auch wenn es nach dem Geburtsstillstand in einem Kaiserschnitt endete, könnte ich nicht glücklicher sein. Für mich war der Ablauf am Ende voll ok. Es hätte schlimmer kommen können. Gegen 11 Uhr am nächsten Tag wurde der Blasenkatheter gezogen und ich konnte aufstehen. Ich ging auf Toilette und duschte erstmal. Die ersten zwei Tage tat die Bewegung noch ordentlich weh, aber alles verheilte so gut, dass wir am dritten Tag nach Hause gehen konnten. Auch Lotte ging es fabelhaft. Mittlerweile kann ich mich schon wieder ganz normal bewegen. Die Kaiserschnittnarbe ist wunderbar und ohne Schwierigkeiten verheilt und auch nur 11cm lang. Ich bin im Nachhinein fasziniert, wie gut eigentlich alles lief.

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