Als letztes möchte ich Euch in meiner Typ-F Reihe meine Mama vorstellen.
Sie hat für mich jeden Orden und jeden Preis dieser Welt verdient. Meine Mama ist mit der wichtigste Mensch in meinem Leben, denn sie war und ist immer für mich da.
Als ich die Diagnose bekam, verbrachte sie drei von den vier Wochen bei mir im Krankenhaus und als ich in der Pubertät Probleme mit nächtlichen Unterzuckerungen bekam, stand sie jeden Nacht auf um nach mir zu sehen. Das hat ganz schön an ihr gezerrt. Aber ruhig schlafen konnte sie ohne die Gewissheit, dass es mir gut ging nicht. Noch heute macht sie sich immer Sorgen um uns Kinder. Das ist wohl normal als Mutter und zeigt nur, wie sehr sie uns liebt.
Mittlerweile hat sie 29 Jahre Diabeteserfahrung hinter sich.
Erst die Diagnose bei meinem Bruder 1986, dann bei mir und seit kurzer Zeit lebt auch sie selbst mit der Diagnose (LADA). Das es nicht immer leicht war erzählt sie in ihrem Bericht.
Als sie ihn mir vorlas, saßen wir beide am Ende da und weinten.
Mama:
Als mein ältester Sohn Jan 1986 mit acht Jahren an Diabetes erkrankte war mein erster Gedanke nur: „Oh mein Gott! Unser Sohn muss sich jetzt jeden Tag Insulin spritzen!“
Bis zu diesem Zeitpunkt war er sehr wehleidig und ängstlich. Bekam er eine Impfe, schrie und weinte er durch die ganze Arztpraxis. Als wir die Diagnose Diabetes mellitus bekamen, fing ich an zu weinen und mein Sohn fragte mich, warum ich denn so traurig sei – genau wie Lisa 13 Jahre später. Noch am selben Tag mussten wir in der Diabetes-Klinik sein und Jan sollte sich gleich die erste Spritze selbst setzten.
Ich glaube, ich hatte mehr Angst als er.
Die Schwester zeigte ihm, wie er im Oberschenkel eine Falte mit zwei Fingern bilden und sich spritzen sollte. Er war dabei sehr nervös, aber als die Spritze in der Falte steckte, fiel die ganze Anspannung von ihm ab. Er sagte erstaunt: „Das hat ja gar nicht weh getan!“. Dass war auch für mich ein erlösender Moment. Von diesem Moment an konnten wir mit dem Diabetes leben.
Bei einer Studie ließen wir uns und unseren anderen Sohn auf Diabetes testen. Lisa war zu dem Zeitpunkt noch nicht geboren. Auch später verzichteten wir darauf, Lisa zu testen. Ich war der festen Überzeugung, dass unsere Tochter diese Krankheit nicht bekommen würde.
Weder hatte ich bei der Schwangerschaft Schwangerschaftsdiabetes, wie bei meinem ersten Sohn, noch war Lisa bei der Geburt sehr schwer. Sie wog nur 2980g. Jan hatte bei der Geburt ein Gewicht von 4010g.
Wahrscheinlich wollte nur ich nicht wahrhaben, dass Lisa auch gefährdet ist.
So haben wir die ersten 10 Jahre sorglos und unbeschwert mit unserer Tochter verlebt. Hätten wir gewusst, dass sie auch Antikörper im Blut hat, dann hätten wir bei jeder kleinen Infektion die Angst gehabt, dass jetzt vielleicht der Diabetes ausbricht.
Als Lisa dann mit zehn Jahren an Diabetes erkrankte, war ich sehr enttäuscht, aber auch erstaunt, dass es Lisa erwischt hat. Lisas Kinderarzt kannte unsere Familie und hatte bei jedem Besuch auch immer Fragen wegen Diabetes gestellt.
Als sie dann eine Mittelohrentzündung hatte, lief erst alles ganz normal. Beim letzten Arztbesuch erklärte mir der Arzt, dass Lisa wieder ganz gesund sei, aber dennoch eine Urinprobe dalassen solle.
Zuhause angekommen sagte die Großmutter, dass der Doktor angerufen hatte und wir zurückrufen sollten.
Zuerst dachte ich, wir hätten etwas in der Praxis vergessen. Dann aber kam die Nachricht, dass auch Lisa an Diabetes erkrankt war. Ich war total geschockt, aber Lisa hat das ganz locker hingenommen.
Ich denke mal, weil sie das ganze Prozedere von ihrem Bruder kannte. Als kleines Kind war sie sogar immer ganz scharf auf die Diätsüßigkeiten.
Sowohl bei Jan, als auch bei Lisa ging ich mit in die Klinik zur Ersteinstellung.
Bei meinem Sohn war es noch so, dass er zu bestimmten Zeiten eine bestimmte Menge Insulin spritzen musste. Auch der Spritz-Ess-Anstand musste penibel eingehalten werden. Nach einer halben Stunden durfte er dann eine bestimme Menge an Kohlenhydraten essen. Manchmal hatte er keinen Hunger und musste dann essen. Meistens hatte er jedoch zwischendurch Hunger und durfte jedoch nichts mit Kohlenhydraten zu sich nehmen. Das war oft sehr schwer für uns zu handhaben. In den 80ern lief alles nach einer sehr strengen Diät ab. Wir benutzen Einmalspritzen und hatten kein eigenes Blutzuckermessgerät. Wir mussten den Urin mit Teststreifen testen und anhand einer Farbtabelle den ungefähren Blutzucker ermitteln.
Zum Glück ging dann die Entwicklung schnell voran.
Dennoch musste auch Lisa im Krankenhaus erst mit Einmalspritzen spritzen. Und auch sie bekam einen Essensplan an den wir uns halten mussten. Blutzuckergeräten waren nun aber schon im Überfluss vorhanden.
Bereits bei der ersten Kontrolle nach der Ersteinstellung bekam Lisa Insulinpens und konnte nun ihr Insulin an das Essen anpassen.
Lisa ging mit der Diagnose immer total cool um.
Ich war damals am Boden zerstört, aber sie sagte nur: „Das ist doch nicht schlimm. Jan hat das doch auch!“ Sie hat sich nie beklagt oder gesagt „ich will die Krankheit nicht mehr haben“, so wie ihr Bruder.
Die ersten Jahre kam Lisa sehr gut mit dem Diabetes zurecht. Dann kam die Pubertät und stellte alles auf den Kopf.
Lisa hatte nachts immer Unterzuckerungen und ich bin jede Nacht mehrmals aufgestanden um den Blutzucker zu kontrollieren. Meistens musste sie Apfelsaft trinken und noch etwas essen. Das hatte natürlich fatale Folgen. Ihr Gewicht schnellte in die Höhe und sie war nicht glücklich mit dieser Situation. Sie erkrankte zusätzlich an Borderline und ging sechs Jahre zu einer Jugendtherapeutin.
Nun studiert und lebt Lisa seit einiger Zeit in Kassel. Als sie uns einmal besuchte, habe ich gemerkt, dass irgendetwas nicht mit ihr stimmte. Sie war sehr kurzatmig und ihr Atem roch nach Aceton, welches auf hohe Blutzuckerwerte hindeutet. Ich bin sehr sensibel was diesen Geruch angeht und rieche ihn sofort. Als ich sie nach ihren Blutzuckerwerten fragte, versicherte sie mir aber, dass alles in Ordnung sei. Bis wir die Nachricht bekamen, dass Lisa ins Koma gefallen war.
Das war für uns ein riesiger Schock!
Um Abzunehmen hatte sie angefangen kein Insulin mehr zu spritzen (Diabulemie) und ist dann ins Koma gefallen.
Wir wussten von nichts und mussten unsere Tochter dann auf der Intensivstation besuchen. Das wäre fast schief gelaufen, aber ich glaube sie hat es jetzt ganz gut im Griff.
Durch Ernährungsumstellung und Sport hat sie super abgenommen und warnt nun Betroffene in ihrem Blog den gleichen Fehler wie sie zu machen!
Seit einiger Zeit muss auch ich nun Insulin spritzen.
Trotz vorhandener Antikörper war es bei mir erst mit 60 Jahren soweit und konnte erst noch mit Tabletten behandelt werden (Typ LADA).
Ich hatte große Angst davor mich selbst zu spritzen. Obwohl ich früher auch meine Kinder gespritzt habe. An Stellen, an die sie nicht herankamen. Wenn z.B. der Popo an der Reihe war. Sonst waren meine beiden Kinder sofort sehr selbständig mit ihrem Diabetes und wollten sich lieber selbst spritzen.
Als ich mich das erste Mal selbst spritzte war es wie bei meinem Sohn „Das tut ja gar nicht weh!“.
Aber das ständige Testen des Blutzuckers und das Spritzen zu den Mahlzeiten nervt mich schon und ich vergesse es auch manchmal.
Es gehört viel Disziplin dazu den Diabetes als immer bleibenden Lebenspartner zu akzeptieren. Lieben werde ich ihn nie.
Ich bewundere alle Diabetiker, die gut damit zurecht kommen, vor allem meine Kinder, die sich nie beklagen und dadurch sehr stark geworden sind.
Es ist und bleibt eine lebenslange Herausforderung, die jeder Diabetiker für sich bewältigen muss.
Heutzutage kann man ganz gut mit Diabetes leben.
Aber man sollte nicht die Disziplin unterschätzen, die man bei dieser Krankheit jeden Tag, ein Leben lang, aufbringen muss.
Man sieht Diabetikern ihre Krankheit nicht an und sie tut ja auch gar nicht weh.
Das Schlimme sind jedoch die Spätfolgen, die man bekommen kann.
Ich wünsche allen Diabetikern und vor allem meinen Kindern, dass sie trotz Diabetes ein glückliches, gesundes und langes Leben haben werden.
Auch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass in der Medizinforschung noch der große Durchbruch kommt und Diabetes geheilt werden kann. Ich hoffe, dass meine Kinder davon noch profitieren können.
Klara Ka meint
Hey Lisa,
mensch, das ist ja ein Sache, wenn beide Kinder Diabetes haben & man es auch nich selbst bekommt.
Da hat deine Mutter auch wirklich’nen Orden für verdient.
Wie war das denn mit der Psychotherapie damals?
Du brauchst darauf auch nicht zu antworten, wenn du nicht möchtest… ist ja schließlich ein sehr privates Thema.
Hat es dir (damals bzw. auch für heute) etwas genützt?
Was aus der Therapie hat dir besonders genützt?
Wie ist der Therapeut/die Therapeutin mit dem Thema Diabetes umgegangen / an das Thema rangegangen?
Ich würde mich sehr freuen, da deine Sicht zu hören.
Kommst du auch zum T1Day?
Viele Grüße
Klara
Lisa meint
Hallo Klara,
bei der Psychotherapie war ich damals aus anderen Gründen. Bzw. waren die Gründe nicht ganz klar, es gab mehrere Faktoren, die damals in mein Verhalten und meine Gesundheit mit reingespielt haben. Das der Diabetes auch eine Ursache war, daran habe ich damals nie auch nur einen Gedanken verschwendet. In der Therapie ging es hauptsächlich auch um die anderen Dinge. Allerdings ist meine Therapeutin schon hin und wieder auf den Diabetes gekommen. Oder sagen wir so: Sie hat versucht das Gespräch darauf zu lenken. Aber da war meine Antwort immer die selbe: „Nee, ich kenne es ja gar nicht mehr anders. Ich glaube ohne den Diabetes würde sogar etwas fehlen. Der gehört einfach zu mir. Es wäre eher komisch ohne ihn.“ Das habe ich auch wirklich immer geglaubt. Mittlerweile denke ich oft darüber nach, ob das nicht eine Abwehr-Reaktion von mir war, um das Thema schnell abzuharken. Denn wenn ich heute ehrlich bin: So ’ne Heilung wäre ja gar nicht sooo übel 😉
Dennoch hat mir die Therapie sehr gut getan. Als ich dort hin musste, mit 14, fand ich das erst total doof und habe bestimmt ein Jahr geschwiegen. Wir saßen uns dann tatsächlich eine Stunde gegenüber und haben uns angeschwiegen. Auch meine Therapeutin sagte dann nichts. Irgendwann fing ich an übers Wetter zu reden, oder das ich mich fragte, was es wohl gleich zu Hause zu essen gibt. Und nach 2 Jahren habe ich die Therapie ganz gut akzeptiert. Ab da wurde es besser. Mit 18 ließ sie mich gehen, wir wollten es ohne ausprobieren. Aber schon nach einem halben Jahr merkte ich, dass es mir fehlte.
Ich rede ungern über die Dinge, die mich beschäftigen, Ich habe immer Angst die Leute zu nerven oder zu belasten. Deswegen sage ich nichts. Aber bei der Therapeutin war es anders. Es war ja ihr Job mir zuzuhören. Und es tat gut ein mal die Woche, 2 Jahre davon auch 2 mal die Woche, mit jemanden zu reden, der komplett außen vor stand und sich das einfach nur anhört. Der dann sogar froh war, dass ich redete 😀
Ich war damals so verunsichert und traute mich nicht mal bei ihr anzurufen, dass ich ihr einen Brief schieb. Dann lud sie mich erneut ein und erkannte, dass sie mich wohl noch nicht hätte gehen lassen sollen. Ich war dann noch bis zum 21. Lebensjahr bei ihr. Aber da sie eine Kinder- und Jugendtherapeutin war, konnte sie mich mit 21 nun wirklich nicht mehr länger betreuen. Sie gab mir die Nummer einer Erwachsenentherapeutin mit den Worten: „ruf da an, ich werde ihr dann deine Unterlagen zuschicken. Ich sehe dich noch nicht alleine durchs Leben gehen.“
Ich habe mich aber nie getraut dort anzurufen und dann bin ich zum Studieren weggezogen. Auch hier habe ich gleich nach Therapeuten gesucht und mir die Telefonnummern herausgeschrieben. Die hingen jetzt 3 Jahre an meiner Pinnwand. Immer wieder wollte ich dort anrufen. habe mich aber nicht getraut. Bis jetzt. Und jetzt habe ich nächste Woche einen „Vorstellungstermin“. Ich bin echt happy und auch etwas stolz, dass ich das nach 5 Jahren aufschieben doch noch über mich gebracht habe.
Und ja, ich bin beim T1Day. Du auch? Vielleicht sieht man sich ja- das wäre toll! Am Samstagabend ist auch noch eine Party von der Blood-Sugar-Lounge, vielleicht magst du ja auch kommen 🙂