Dieser Text geistert schon fast ein Jahr in meinem Kopf herum. Bisher war ich mir aber zu unsicher um ihm wirklich festzuhalten, aufzuschreiben und auch zu veröffentlichen. Warum genau, dass kann ich gar nicht sagen. Vielleicht habe ich angst, dass mich niemand versteht und ihr mich für verrückt haltet. Aber dann dachte ich mir: „Und wenn schon. Ein paar mehr Leute, die mich für komisch halten, machen den Kohl jetzt auch nicht mehr fett. Und wer weiß, vielleicht irre ich mich und der ein oder andere kennt das Gefühl sogar auch. Dann kann man sich austauschen und findet sich selbst vielleicht nicht mehr so merkwürdig.“
Es geht um starke Unterzuckerungen.
Nicht diese explizit, sondern viel mehr um das Gefühl danach. Der ein oder andere hatte sicherlich schon mal eine starke Unterzuckerung, bei der er weggetreten war. Auch auf meinem Konto kann ich leider schon etliche verbuchen. Früher in der Pubertät passierte es nachts – ständig. Wir wechselten die Ärzte, es wurde besser, nach ein paar Wochen ging das Spiel von vorne los. Zeitweise schlief ich im Ehebett meiner Eltern und verjagte meinen Vater, sodass meine Mutter mir schneller helfen konnte. Über ein Jahr stand sie fast zwei mal in der Nacht auf, um nach mir zu sehen. Und nicht selten musste ich etwas trinken und essen. Wie ihr wisst, war auch das der Grund, warum ich in der Pubertät so zulegte.
Aber darum geht es heute gar nicht.
Als ich nach langer Zeit, letztes Jahr im September (Amsterdam und schwere Hypo), eine starke Unterzuckerung hatte kamen die Erinnerungen zurück. Jedes Mal, wenn ich nach der Bewusstlosigkeit aufwache ist mir elendig zumute – ist ja klar. Orientierungslosigkeit und Verwirrung. Der Tag danach ist oft dominiert vom Muskelkater, den ich von den Krampfanfällen am ganzen Körper habe, als hätte mich ein Drill Instuctor tagelang mit Sport gequält. Aber der vergeht. Was bleibt, oft wochenlang, ist ein merkwürdiges Gefühl. Es fühlt sich an, als sei etwas falsch, als sei ich falsch. An diesem Ort, in dieser Welt. Ich weiß nicht genau, wie ich das beschreiben soll. Es kommt mir oft vor, als hätte ich eine Art Zeitreise während der Unterzuckerung gemacht und sei nun in einem Paralleluniversum. Klingt verrückt, nicht? Ich hab’s Euch ja gesagt! Aber ich fühle mich, als sei dies nicht die Welt, die sie vorher war. Als gehöre ich nicht hierher. Oder als ob mir jemand etwas wichtiges, essentielles aus meinem Leben geraubt hätte. Ich weiß weder was, noch wie ich es zurück bekomme oder diese Lücke, die es hinterlässt füllen kann. Dazu kommt Melancholie, die sogar in Lethargie ausartet. Ich bin einfach leer. Tagelang. Irgendwann wird es besser, aber nur ganz langsam.
Oft fehlen mir kurzzeitig die zwei Tage vor der Unterzuckerung.
Nach und nach kommen sie zwar wieder, aber auch sie fühlen sich unwirklich an. Wie fremde Erinnerungen, die man mir in den Kopf gesetzt hat. Und jedes Mal, wenn ich an diese Unterzuckerungen denke, kommt dieses Gefühl zurück. Es ist wirklich unangenehm und knockt mich für ein paar Tage aus. Ich unternehme nichts, bleibe zu Hause und denke nach. Versuche mich in der Welt wieder zu Hause zu fühlen. Oft ist es auch so, dass die Erinnerungen der ersten starken Hypo zurück kommen und präsenter sind, als Dinge, die ich einen Tag zuvor erlebt habe. Meine erste starke Unterzuckerung hatte ich mit 12 Jahren in unserem Mallorca-Urlaub. Direkt nach dem Flug. Wache ich heute nach einer starken Unterzuckerung auf, denke ich oftmals ich sei am Flughafen. Gott, das ist 13 Jahre her… gruselig! Auch versuche ich mich oft an den Moment zu erinnern, bevor ich wegtrete. Damit ich es beim nächsten Mal verhindern kann. Aber das geht nicht. So sehr ich es versuche, ich weiß nicht, wie es sich kurz vorher anfühlt – es ist einfach alles weg. Und die letzte Stunde vor der Hypo kommt meist gar nicht mehr zurück. Diese Melancholie macht mich fertig, Wirklich. Und ich hoffe, dass ihr mich jetzt nicht für durchgeknallt haltet, sondern, dass ich damit vielleicht nicht alleine bin. Vielleicht ist es ja ganz normal?
Wobei ich dieses Gefühl wirklich niemandem wünsche.
Eure
Dennis meint
Hallo meine Name ist Dennis
Habe gute 15 Jahre Diabetes und habe in der Zeit vieles mit machen müssen auch durch eigen verschulden. Ich dachte ich sei verrückt aber als ich eure Geschichten lass merkte ich dss ich doch nicht allein bin. Jetzt zu meiner Geschichte
Morgens um halb 4 im Halbschlaf versuchte ich meine Pumpe zum Laufen zu kriegen da sie wohl kein Insulin mehr hatte zwei Kanülen mit Schlauch zerrissen und schon bin ich in einer Welt an der ich mich nicht mehr erinnere das einzigste was ich weiß das ich um 4 wach geworden bin komme zu mir und seh aufen tisch die glukonspritze der Gedanke sagt Na haste es Wieder Geschaft. Meine Frau musste mir wieder die Spritze geben wohl bemerkt meine Frau macht die halbe Zeit seid dem ich Zucker habe das alles mit und nix zu trotz wo von ich nix weiß hatte ich sie in der Unterzuckerung Phase angekreidet und wahr sehr aggressiv wovon ich nix mehr weiß und ja man kommt zu sich und fühlt sich einfach nur dreckig man weiß nicht ist das alles richtig gehöre ich hier her oder sollte ich lieber in der welt bleiben wo ich vor paar minuten wahr es ist traurig son gefühl zu haben und das man leute damit rein zieht die eug damit nix zu tun haben die ein lieben und ein nur gutes möchten ich hoffe mal das es nicht so schnell wieder kommt danke bin gespannt auf eure Reaktionen mfh
Lisa meint
Ich hatte zwar glücklicherweise schon seit sehr langer Zeit keine schwere Unterzuckerung mit Krämpfen und Bewusstlosigkeit mehr – das letzte Mal vermutlich als sieben- oder achtjährige, trotzdem kann ich das Gefühl, nach einer Unterzuckerung in einem Paralleluniversum zu schweben, sehr gut nachvollziehen. Ich kenne es auch, einfach nach sehr niedrigen Werten, die vor allem nachts schon hin und wieder vorkommen, wie in einer Art kleinen Depression zu stecken. Über die Welt legt sich wie eine Art grauer Schleier, alles ist ein wenig gedämpft um melancholisch und nichts macht richtig Spaß. Zum Glück weiß ich dann, woher es kommt und vor allem, dass es wieder geht. Manchmal erkenne ich eine Unterzuckerung sogar an diesem Gefühl, da ich nach über 25 Jahren Diabetes oft keine körperlichen Symptome mehr habe. Dass das nach richtig schweren Unterzuckerungen heftig ist, kann ich mir vorstellen. Ich hoffe sehr, es passiert dir nicht so schnell wieder! Liebe Grüße von einer anderen diabetischen Lisa 😉
Elli meint
Ich bin zum Glück noch nie von einer Unterzuckerung total ausgeknockt worden, segle vor allem nachts teilweise auch ziemlich tief. Für mich ist der Tag danach auch immer im Eimer – Schlafmangel, körperliche Erschöpfung, und einfach alle Muskeln tun weh. Ich versuche das Freunden auch immer zu beschreiben, als hätte sie jemand um drei Uhr geweckt um nen Halbmarathon zu laufen. Und um fünf Uhr nochmal. Und um halb neun nochmal fünf Kilometer hinterher. Psychisch erhole ich mich meist im Laufe des Tages, zum Glück. Für mich fühlt sich eine Hypo immer an wie eine interne Panikattacke, an der mein Hirn allerdings nicht beteiligt ist. Mein Kopf steht relativ verwirrt und hilflos daneben, während alles andere Alarm schlägt – daher diese komische Dissoziation, dass ich mich auf einmal nicht mehr „ganz“ in meinem Körper fühle. Dazu kommt das Misstrauen, wiederum vom Kopf ausgehend – mein Körper hat mich im Stich gelassen, und das sollte nicht so sein, das gehört sich nicht. Insgesamt ist es ein ekliger Cocktail aus Kontrollverlust, Machtlosigkeit und vor allem auch Hoffnungslosigkeit. In der Regel habe ich ja nichts falsch gemacht und weiß die Ursache nicht, also kann ich einfach nichts tun als auf das nächste Mal zu warten und hoffen, dass ich es auch dann auf Autopilot noch bis zum O-Saft-Glas schaffe.
Lisa meint
Ja, das hast du auch sehr gut beschrieben. Genau so ist es bei mir auch, wenn ich noch selbst handeln kann. In letzter Zeit hatte ich das ein paar mal, dass ich, glaube ich, kurz vor dem Umkippen stand. Es hat sich jedenfalls noch mal schlimmer angefühlt als bei einer „normalen“ Unterzuckerung bei mir. Da bin ich dann auch tatsächlich in richtige Panik verfallen. Und die hat es in dem Moment natürlich noch schlimmer gemacht, dass ich eigentlich gar keine Ahnung mehr hatte, was ich gerade tun soll. Mit richtig doller Konzentration habe ich mich dann erinnern können, dass ich etwas essen sollte und wo unsere Küche ist 😀
Martini meint
„Es fühlt sich an, als sei etwas falsch, als sei ich falsch. An diesem Ort, in dieser Welt.“
Das kann ich dir nachempfinden, das „Zurückkommen“, das du beschreibst nach längerer „Abwesenheit“, ist vermutlich der verwirrendste Augenblick nach einer schweren Hypo und lässt sich wahrlich kaum beschreiben.
Aber ich versuchs mal…mir ergeht es dann immer so, dass ich erst einmal realisieren muss was da vorher überhaupt passiert ist (keine Erinnerung) und wie ich an diesen merkwürdig-verzauberten Ort gekommen bin (an dem ich mich vorher aufgehalten haben soll?), allein das dauert einige Stunden, der Tag ist jedenfalls gelaufen…
Das oben von dir gewählte Bild trifft es ganz gut, alles ist verschwommen, verwischt und nichts scheint deutbar zu sein…alles denken ist reduziert auf den Wunsch endlich wissen zu wollen woher ich gerade komme, die Augen tasten ängstlich alles verschwommene gründlich ab und zurück bleibt die halbdunkle Erinnerung dass es ja mal anders gewesen ist (so die Hoffnung nach der Rettung, links und rechts Menschen die dir irgendetwas wunderliches in den Mund stopfen wollen, schmecken ist momentan eh nicht, lasst mich doch erstmal in Ruhe).
Die sich nach einigen Stunden langsam wieder einstellende „Sicherheit“ wieder „da zu sein“ wird allerdings nie ganz vollständig und ja, dies ist „nicht die Welt, die sie vorher war“…was mich dann im Anschluss an die Strapazen immer wieder depressiv stimmt, ist die fehlene Erinnerung wie es passiert ist…
Der Moment aber, bis ich dahin komme, an dem ich nichts mehr machen kann, diesen kann ich „beobachten“ wie ich so langsam den Faden verliere…und ich sehe mich selbst dabei (als würde sich die Welt um mich herum zusammenziehen und nur ich bleibe übrig), kann allerdings nicht reagieren und „muss“ es über mich ergehen lassen, du sitzt schwitzend da und du weißt das etwas mit dir passiert aber kannst es nur partiell realisieren und ein angemessenes reagieren ist unmöglich…
„Und jedes Mal, wenn ich an diese Unterzuckerungen denke, kommt dieses Gefühl zurück. (…) Auch versuche ich mich oft an den Moment zu erinnern, bevor ich wegtrete. Damit ich es beim nächsten Mal verhindern kann. (…) Diese Melancholie macht mich fertig, Wirklich.“
Mir geht es ebenso, allerdings habe ich erlebt, dass ich mich manchmal garnicht daran erinnern möchte und ziehe mich einfach zurück…diese Phase dauert dann immer einige Wochen…
Ich denke es ist wirklich nicht einfach Mitmenschen von derartigen „Erlebnissen“ zu berichten, wenn das Verständnis fehlt wie so etwas überhaupt passieren kann…ich kann mir allerdings vorstellen, dass diejenigen die mich retten (so zumindest während des Studiums in der WG, in der es mir einmal passiert ist), mich danach mit anderen Augen sehen, es muss ein widriger Anblick sein, mich da liegen zu sehen, eventuelle Krämpfe und Blutergüsse…ich möchts mir garnicht vorstellen.
LG
Martin
Lisa Inthesky meint
Hallo Martin,
vielen lieben Dank für diesen tollen Kommentar!
Da fühlt man sich gleich etwas verstanden und nicht mehr so alleine.
Was und vor allem wie du beschreibst, versetzt einen gleich wieder zurück. Ich weiß genau was Du meinst!
Ich hatte immer Angst, dass mein Freund das mal mitlerben muss. Es war ja klar, dass es früher oder später mal dazu kommt (wobei es ja auch Leute gibt, denen soetwas in 40 Jahren mit Diabetes kein Mal passiert), aber ich hatte Angst vor der Reaktion. Er sagte immer, er könne damit umgehen. Wie es aber wirklich aussieht wusste er ja nicht. Und ich konnte mir schwer vorstellen, dass man gerne mit jemandem zusammen ist, dem soetwas passiert.
Mein Bruder hat ja ebenfalls Diabetes und auch er ist oft umgekippt, da er Sportler ist. Ich konnte mir das immer schwer mit ansehen. Ich kriege da richtig große Panik und kann kaum denken und handeln.
Um so schlimmer fühle ich mich jedes Mal nach dem Aufwachen meinen Angehörigen gegenüber. Ich schäme mich und es tut mir immer so unendlich Leid, dass sie das jetzt mitmachen mussten.
Mein Freund hat es, wie gesagt, vor einem Jahr das erste Mal miterlebt. Und er hat richtig und gut gehandelt. Er war zwar doch erschrocken wie schlimm soetwas aussehen kann und hat nun mehr respekt davor, aber abgeschreckt ist er zum Glück nicht. Ich glaube fast, er steckt das besser weg als ich selbst.
LG
Lisa
Jana meint
Ich kann da nicht wirklich mitreden, mein Vater leidet auch an Diabetes, aber eine Unterzuckerung hatte er glaube ich noch nicht. Klingt aber auf jeden Fall sehr sehr unangenehm und ich wünsche dir, dass möglichst selten erleben musst!
Liebe Grüße
Jana