Triggerwarnung: Dieser Text beinhaltet Symptomatik und Auswirkungen von Essstörungen und Insulin-Purging. Solltest du aktuell an einer Essstörung erkrankt sein, könnte der nachfolgende Text triggernd wirken.
Genau heute vor einem Jahr bin ich ins diabetische Koma gefallen und habe danach beschlossen, mein Leben komplett zu ändern – und das alles hat mich auch zu diesem Blog geführt. Deswegen möchte ich heute noch ein mal Revue passieren lassen und auch wenn ihr die Geschichte hier schon findet, werde ich es heute noch mal erzählen – auch für mich, um mir vor Augen zu führen, was alles passiert ist und wie sich mein Leben seitdem verändert hat.
Der Tag
Der 13. Oktober 2013 war ein Sonntag. Schon in der Nacht zuvor hatte ich unglaubliche Kopfschmerzen und eine Entzündung im Mundbereich die so wehtat, dass ich nicht schlafen konnte. Ich nahm einige Schmerztabletten und versuchte die Nacht herumzukriegen. Am Morgen ging es mir nicht wirklich besser, die Tabletten hatten nicht gewirkt, die Schmerzen in Kopf und Mund waren schlimmer als zuvor und mir war schlecht. Ich holte mir eine trockene Scheibe Brot und ging zurück ins Bett. Nach einem Bissen legte ich das Brot wieder weg. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich mich an diesem Tag übergeben habe, oder an dem Tag davor. Aber in der Woche davor, hatte ich mich schon ein paar mal übergeben. Als ich dann mitbekam, dass meine beste Freundin und Mitbewohnerin wach war, schleppte ich mich zu ihr und fragte sie, ob sie mich zum ärztlichen Notdienst fahren würde, da es mir irgendwie nicht gut ging. Die ganzen Beschwerden konnte ich kaum aufzählen, denn irgendwie tat mir alles weh, mir war kotzübel und ich bekam schlecht Luft.
Als wir uns beide angezogen hatten und los wollten, schaffte ich es gerade bis zur Haustür, dann musste ich so furchtbar nach Luft ringen, dass ich dachte ich würde gleich gar keine Luft mehr bekommen. Meine Freundin rief den Krankenwagen und brachte mich in mein Zimmer zurück. Nach nur wenigen Minuten kamen – ich glaube 3 – vom „ASB“ herein. Ich erzählte denen, das mir furchtbar schlecht sei und ich keine Luft bekommen würde. Und ich erzählte auch, dass ich in der Nacht wegen meiner Mundentzündung einige Schmerztabletten genommen hatte. Mir wurde dann erklärt, dass das nicht an den Tabletten liegen kann und ich ganz ruhig bleiben soll. Ich bekam eine Tüte in die ich Atmen sollte und einer der Männer machte Atemübungen mit mir. Er meinte, dass sei nur die Panik und das würde schon wieder werden. Als meine Freundin fragte, ob sie mit mir zum ärztlichen Bereitschaftsdienst fahren solle, falls es nicht besser wird, meinten sie nur, die würden dann auch nichts anderes mit mir machen und mich wieder wegschicken. Na gut. Ich erinnere mich nur dunkel an all das. Das meiste weiß ich von meiner besten Freundin. Alles ist so verschwommen…
„Sie hat Diabetes…“
Als die Rettungsassistenten und Ärzte wieder gehen wollte, erzählte meine beste Freundin noch, dass ich Diabetikerin sei. Ich hatte es nicht erwähnt. Ob ich es einfach vergessen hatte in der Panik, oder es nicht sagen wollte – ich weiß es nicht. Jedenfalls fragen sie mich, ob ich gespritzt habe. Meine beste Freundin erzählte mir, dass ich nur genickt hätte. Ich weiß jedoch, das ich an dem Tag nicht gespritzt hatte – na ja, ich hatte ja auch nichts gegessen. Was keine Entschuldigung ist, denn ich hatte in letzter Zeit nur sporadisch mal hin und wieder was gespritzt. Mir ging es schon längere Zeit sehr schlecht. Im April in dem Jahr hatte ich ein Abszess am Rücken, das so tief ragte, dass es drohte die Wirbelsäule anzugreifen. Ich war schon lange schlapp und ausgelaugt und hatte schnell Atemnot. Das alles nahm ich erst mal in Kauf um abzunehmen. Ich dachte, wenn ich mein Zielgewicht habe, spritze ich einfach wieder normal. Soweit kam es jedoch nicht.
Die Rettungsassistenten und Ärzte verschwanden also wieder und meine andere Mitbewohnerin gab mir ein Glas Wasser. Ich legte mich dann wieder ins Bett, denn ich sollte mich ja ausruhen und „wieder runterkommen“. Ich weiß noch, das meine beste Freundin immer wieder in mein Zimmer kam und fragte, ob alles okay sei und ob ich nicht doch zum Arzt wolle. Aber ich verneinte.
Das letzte Mal, dass ich auf die Uhr sah, war gegen 11 Uhr. Gegen 1 Uhr nachts wachte ich auf der Intensivstation auf. Ich merkte nur, dass das Gesicht, das nach mir sah nicht mehr meine Freundin war, sondern irgendein Typ.
Aufwachen auf der Intensivstation
Ich schlief noch ein paar Mal ein, bis ich beim 3ten oder vierten Mal registrierte, dass dieser Mann irgendwie nicht in unsere Wohnung gehörte. Er sah sehr erleichtert aus, als ich ihn ansah und wahrnahm. Ich muss wohl etwas erschrocken ausgesehen haben, denn er kam sofort zu mir und erklärte mir: „Du bist hier sicher, wir passen auf dich auf. Alles gut! Schön das du wach bist! Du bist im Krankenhaus. Deine Freundin war auch hier, aber sie ist schon weg. Deine Eltern wissen auch Bescheid!“ Mein erster Gedanke war :“ Scheiße, meine Eltern! Die machen sich sicher Sorgen!“ Also war mein erster Satz: „Kann ich sie anrufen?“ – „Na klar, die Nummer haben wir schon eingespeichert.“ Er reichte mir das Telefon und ich rief zu Hause an. Meine Mutter nahm ab. Sie hatte natürlich noch nicht geschlafen und war auch sehr erleichtert mich zu hören. Sie fragte, ob sie vorbei kommen solle. Ich erklärte ihr, dass ich gerade wach geworden sei, aber sie nicht kommen brauch, weil ich jetzt weiter schlafen würde. Aber dass ich mich sehr freuen würde, wenn sie morgen kommen könnte. „Ja, wir kommen gleich morgen früh! Ich habe vorhin schon mit dem Chefarzt telefoniert, aber der meinte, wir könnten jetzt eh nichts tun. Aber wenn du willst, kommen wir auch jetzt.“ So sind meine Eltern! Über 200km weg, aber sie wären, wenn ich es gesagt hätte, wahrscheinlich noch in der Nacht losgefahren. „Nein, nein. Alles okay. Mir geht es gut, es würde reichen, wenn ihr morgen kommen könntet.“
Ich wollte noch meine beste Freundin anrufen, hatte aber unsere Festnetznummer nicht im Kopf und mein Handy nicht bei mir. Überhaupt, hatte ich nichts bei mir außer mein kleines Kopfkissen von zu Hause. Ich trug nur ein Krankenhaushemd und hatte einen Katheter gelegt bekommen. Wann war das passiert? In jedem Arm steckte eine Kanüle zu einem Tropf, auf der Brust der Monitor für’s Herz und am Finger ein Pulsmesser. Das war mir alles egal, ich konnte schlafen wie ein Stein. Bevor ich wieder einschlief versuchte ich noch einen Schluck zu trinken. Das einzige was nicht im Hals und Magen brannte war kalter Tee.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, saßen meine Eltern schon an meinem Bett und den Gesichtsausdruck in ihren Gesichtern möchte ich wirklich nie, nie wieder sehen! Ich fühlte mich so schuldig, dass ich ihnen so viel Kummer bereitete. Ein paar Minuten später kamen auch meine beste Freundin und mein Freund. Weil wir noch auf der Intensivstation waren, mussten meine Eltern erst noch einmal rausgehen. Meine beste Freundin musste weinen und auch das tat mir so unendlich Leid. Ich wollte nie jemanden wehtun. Der Pfleger von der Station hatte sie nach meiner Einlieferung mit den Worten: „Wir müssen sehen ob sie aufwacht und wenn, wissen wir noch nicht, ob sie die ist, die du kanntest“, nach hause geschickt. Na herrlich! Damit musste sie Abends in dieser Stadt, die wir beide nicht sonderlich mochten mit der Straßenbahn nach Hause fahren. Ich kann bis heute nicht in Worte fassen, wie sehr mir das Leid tut.
Ich blieb auf der Station noch 2 Wochen, konnte aber irgendwann schon mal den Katheter loswerden und durfte eigenständig (na ja, mit Beobachtung) ins Bad. Essen und Trinken fiel mir unglaublich schwer. Von den Portionen schaffte ich nur 1/3. Ich hatte keinen Hunger und von dem bisschen was ich aß bekam ich fürchterliche Magenkrämpfe und auch das Schlucken fiel mir schwer. Mein Körper war so übersäuert gewesen, dass mein Magen und die Speiseröhre ganz verätzt waren. Zudem hatte ich mir noch eine Lungenentzündung zugezogen. Ich bekam ein Gerät an dem ich jeden Tag 3
Stunden meine Lunge trainieren musste. Das war so deprimierend, weil ich nie das Ergebnis erzielte, was ich schaffen sollte. Selbst beim Röntgen der Lunge konnte ich nicht genug einatmen, um eine vernünftige Aufnahme machen zu lassen. Das alles verzögerte meine Heimkehr.
Endlich nach Hause
Nach etwas mehr als 2 Wochen konnte ich wieder nach Hause gehen. Unter einer Bedienung: Noch am Tag der Entlassung sollte ich Nachmittags zu einer Diabetologin. Der Arzt im Krankenhaus hatte mir einen Termin verschafft. Und so fuhr ich dort direkt hin.
Seitdem ist alle anders. Ich bemühe mich, mich um meinen Diabetes zu kümmern. Messen, spritzen, Essen berechnen. Ich versuche gesund und auf normalem Wege abzunehmen und das Schwierigste: nicht in alte Muster zu verfallen und weiterhin motiviert zu bleiben, meinem Diabetes einen Platz in meinem Leben zu geben.

Die größte Motivation
Ihnen möchte ich nicht nochmal so einen Schrecken einjagen. Mein Freund hilft mir sehr, und ermahnt mich, wenn ich mal wieder zu schluderig bin. Und natürlich dieser Blog, für den ich immer wieder was neues schreiben möchte. Ich muss sagen, vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass mein Leben so aussieht, und vor allem hätte ich nicht gedacht, dass ich endlich wieder bewusst mit meinem Diabetes umgehen kann. 10 Jahre habe ich meinen Diabetes so gut es ging ignoriert – und ich bin sehr überrascht, dass es so lange gut ging – und nun klappt es plötzlich doch so gut. Dieser Arschtritt musste sein. Denn ich wäre zwar gerne dünn, aber nicht mehr mit so einem Preis. Dazu ist mir das Leben viel zu teuer!
Also, egal was ihr für Gründe habt euren Diabetes schleifen zu lassen, sucht euch eine Motivation, die euch hilft, daran fest zu halten. Denkt an die Menschen die ihr liebt, denkt an euer eigenes Leben und eure Gesundheit, denn nichts ist es Wert das aufs Spiel zu setzten. Und ihr seid auch nicht alleine. Ich habe mir diese Internet-Community gesucht. Diese „Trotz-Phasen“ kennt fast jeder, redet mit Leuten, die dasselbe durchmachen, denn auch das hilft ungemein!
Und auch wenn mir ein mal gesagt wurde: „Heutzutage und hier in Deutschland kann man nicht an Diabetes sterben!“ – Doch, man kann!! Ich habe mittlerweile ein paar erschreckende Beispiele gesehen und wünsche das keinem! Deswegen: kümmert euch immer gut darum! Ich will keinem Angst machen, aber ich will Leuten, wie mir, bewusst machen, dass das leichtfertige Spiel mit dem Diabetes auch ein leichtfertiges Spiel mit eurem Leben ist! Und eigentlich, so merke ich, gehört gar nicht sooo viel dazu, gut damit zu leben. Der Hauptpunkt ist wohl Akzeptanz. Man muss es wollen! Ich möchte mit diesem Post auch gar nicht jammern, wie schlecht es mir da ging, denn all das war mein eigenes Verschulden! Und all das musste mir anscheinend widerfahren, um mich zu ändern! Ich hoffe nur, dass anderen all so was vielleicht erspart bleibt, wenn sie sich und ihren Diabetes mal aufgeben und dann lesen, zu was das führen kann.
Alles in allem, musste mir das passieren um heute hier zu stehen. Ich hätte gerne darauf verzichtet,
aber ich kenne mich: bei mir hilft manchmal nur die radikale Variante! Ich bin froh, darüber wie es heute ist und fühle mich heute viel, viel besser als damals!
In dem Sinne: Euch eine schöne Woche!!
Eure

Hallo,
Danke für diese sehr persönlichen Worten. Meine Mutter wie auch mein Exfreund haben Diabetes und auch wenn die meisten Menschen diese Krankheit einfach abtun – sie ist gefährlich, insbesondere wenn man sie nicht ernst nimmt.
Jahrelang war die Diabetes meiner Mutter unentdeckt – die Abnahme und das viele Trinken? Ach nur der Arbeitsstress. Heute hat sie mit Bluthochdruck, kaputten Nieren, Magenproblemen und Augenproblemen zu kämpfen.
Mein Exfreund war ähnlich wie du – ach, spritzen ist ja nicht so wichtig. Noch ist ihm nichts passiert, doch wird vielleicht auch bei ihm irgendwann die Einsicht kommen.
Verlier nicht den Mut, versuche es zu akzeptieren und den Leben trotzdem tu genießen – aber nimm es weiterhin ernst.
Viel Erfolg noch wünsche dir und danke für den ehrlichen und berührenden Artikel.
Danke, dass du deine Geschichte mit uns teilst. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg beim Dressierten deines Diabetes